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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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oder höchstens eine halbe höher.
    Später, nachdem ein neues Zusammenkommen vereinbart worden war, luden wir die zwei in das Taxi und schickten sie in ihr eigenes Café zurück. Heinz lud mich zum Abendessen ein, zu Reis und Fioliwurst. Es gab hier oben auch zu trinken. Das Haus war fast leer im Winter, es lag an einer abgelegenen Straße, auf die ich im Anfahren kaum geachtet hatte, am Rand der Berge. Wir waren ganz verlassen, so dicht bei der großen Stadt. Ich hatte das Gefühl, daß Heinz sich mit mir langweile. Ich trank viel. Ich geriet plötzlich in Wut und Verzweiflung. Warum hatte ich alles für Heinz getan, ich, der ich ihm selbst gleichgültig war und langweilig, den er nie mehr wiedersehen würde? Ich trank weiter, manche Teile meines Lebens waren mir klar, andere waren verdunkelt von zartem, schwärzlichrotem Rosénebel. »Du gehst jetzt weg. Ich habe immer gedacht, wenn ich einmal wieder in einer Stadt mit dir leben sollte, was ich alles mit dir sprechen müßte, ich hätte dich wunder was zu fragen. Jetzt ist der Abend schon vorbei, doch weiß ich nicht mehr, was ich Dringendes fragen wollte, und die Zeit ist vorbei, in der wir in dieser Stadt zusammen gelebt haben, und ich habe dich nichts gefragt.«
    »Du hast mir geholfen.«
    »Gerade dadurch fährst du jetzt weg. Du hast es gut, du bist nicht wie ich, du hast dein Ziel.«
    »Du könntest dir sicher auch selbst helfen, abfahren.« – »Von dieser Art Ziel spreche ich nicht. Ja, diese Art Ziel kann ich mir beschaffen, ein Ziel und einen Schiffsplatz. Visen nach Gott weiß was für Ländern kann ich mir beschaffen. Transitvisen, Visa de sortie, dazu bin ich wohl der Mann. Aber was nützt es mir, daß mir einerlei ist, wohin ich fahre, da mir das meiste einerlei ist?«
    »Trotzdem, du hast mir geholfen.«
    »Wenn ich bei dir sitze, und du hast etwas Festes in dir und vor dir, etwas Festes, das nie in die Brüche geht, auchwenn du selbst in die Brüche gehst, Heinz, und ich seh es in deinen Augen, kommt es mir vor, ich hätte dann auch daran teil. Du verstehst wahrscheinlich kein Wort. Denn du kannst dir nicht vorstellen, wie es jemandem zumut ist, der ganz leer ist.«
    Wir horchten auf den Wind, der hier oben genauso tönte wie bei uns in den Bergen. Heinz sagte: »Ich kann mir alles vorstellen. Es gibt nichts, was ich nicht hinter mir habe. Wie ich zum erstenmal aufstand auf meinen Krücken – früher war ich wie du, groß und stark –, und ich versuchte zum erstenmal, durch die Tür zu kommen, da schien die Sonne durch diese Tür, ganz bös und grell, und ich sah vor mir meinen Schatten, meinen abgehackten Schatten, da war auch mir recht leer zumute. Ich bin wohl so alt wie du. Mein Herz sagt mir, daß ich noch unermeßlich viel Zeit vor mir haben muß, damit ich heimfahren kann und dabeisein kann, wenn sich alles verändert. Denn wie kann sich alles verändern, fragt sich mein Herz, ohne mich, der ich alles dazu hergab, meine Knochen und mein Blut und meine Jugend? Doch mein Verstand sagt mir, daß ich nur wenige Jahre zu leben habe, vielleicht nur wenige Monate.« Er sah mich anders an als gewöhnlich, schräg und nachdenklich, mit dem Blick eines Menschen, der auch Hilfe braucht. Dadurch wurde er mir noch lieber.
III
    Der Arzt nahm meine Mitteilung ziemlich ruhig auf, daß die Passage nach Oran doch nicht für ihn klappe. Er sagte: »Man hat mir auf der Transports Maritimes versichert, daß auch im nächsten Monat ein Schiff nach Martinique abgeht. Ich habe mich verbuchen lassen. Das ist eine sicherere Fahrt als über Oran und der Zeitunterschied gering in jedem Fall.« – Also du hast mich eifrig verhandeln lassen, dachte ich, immer mit einer Rückversicherung. Erfuhr fort: »Marie hat mir erzählt, Sie wollen ihr helfen. Sie haben vielleicht in ihrer Sache eine bessere Hand.« – »Ich glaube kaum, daß das Visum kommt, bevor Sie abreisen. Und wenn! Bedenken Sie doch, was dann noch zu tun bleibt: Kaution, Visa de sortie, Transit.« Er sah mir so scharf, so plötzlich in die Augen, daß ich mein Gesicht nicht mehr verändern konnte. Er sagte ruhig: »Ich möchte Ihnen etwas erklären. Ein für allemal: Ich habe Marie in meinem kleinen braven schäbigen Auto durch den Krieg durch, aus dem Krieg heraus gefahren. Wahrscheinlich liegen die Trümmer meines Autos noch immer im selben Chausseegraben, fünf Stunden hinter der Loire. – Wir kamen heil hier an. Wir wären damals noch weiter gekommen. Wir hätten damals nach Afrika fliehen können.

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