Transit
Dispositionen.« – Seine Augen musterten mich mit neuer List. Aber gerade weil sie so sehr darauf aus waren, mich zu durchschauen, fühlte ich mich von neuem bestärkt in meiner eigenen List, in meiner eigenen Undurchschaubarkeit. Ich sagte: »Ich bitte Sie sehr, meine Frau noch nachträglich einzutragen in die Rubrik ›Visenantragsteller begleitende Person‹.«
Niemand hat einen Schaden davon, dachte ich, als ich den Cours d’Assas überquerte. Niemand wird sich je darum kümmern, ob wir zwei abfliegen, ob wir zwei hierbleiben. Für mich ist der Aufschub gut, eine Frist, inder man noch alles klären kann. Damals fing ich schon an, in Konsulatsfristen zu rechnen, eine Art von Planetenzeit, in der man irdische Tage für Millionen von Jahren setzt, weil Welten verbrannt sind, ehe das Transit abläuft. Ich fing auch schon an, meine Träume ernst zu nehmen – warfen sie denn nicht ihre echten Schatten auf die weißen Seiten der Dossiers? Und der Ernst meines Lebens, mit dem es nie weit her gewesen war, hatte sich fast schon verflüchtigt in den zahllosen Tricks und Zauberkunststücken, die man in dieser Welt anwenden mußte, nur um am Leben, nur um in Freiheit zu bleiben.
Heinz saß am gleichen Tisch, an dem ich mit Binnets Jungen gesessen hatte, an dem Tag, an dem ich zum erstenmal in das neueröffnete mexikanische Konsulat gegangen war. Ich konnte auch jetzt von meinem Platz aus die Wartenden übersehen. Sie kämpften mit zwei Polizisten, die sie in den Schatten abdrängen wollten, aus einem schmalen Viereck von Wintersonne. Heinz fragte mich, was ich für Ratschläge feil hätte. Mir kam es vor, er hätte schon alles durchschaut. Wenn er mich nur noch ein wenig länger, nur noch ein wenig schärfer anblickte, mußte es ihm gelingen, alles aus mir herauszulesen. Was es auf sich hatte mit meinen Gängen auf das mexikanische Konsulat, wie ich den Freund jener Frau weit fort wünschte, wie mir der Gedanke zuwider war, ihn auf dem Hals zu behalten. Dann mußte er auch durchschauen, wie ich ihm, Heinz, helfen wollte, mehr als irgendeinem Menschen, mehr als mir selbst. Dabei wußte ich nur zu genau, daß ich für ihn nur einer von denen blieb, an die man sich nun einmal wenden muß, wenn solche Passagen glücken sollen. Trotzdem wollte ich mitgeholfen haben, würde für immer stolz darauf sein, bei dieser Rettung mitgeholfen zu haben.
Ich fing also fast gegen meinen Willen an, von dem Kupferdrahtkargo zu erzählen, von der Passage nach Oran, die ich einem gewissen Bekannten zugedacht hatte, aber jetzt lieber ihm, Heinz, abtreten wollte. Heinzerklärte, er wolle die Sache jedenfalls in Betracht ziehen. Er bestellte mich auf den Abend in eine Herberge, weit weg in Beaumont. Ich war immer in seinem Bann, solange ich vor ihm saß. Sobald ich wegging, fühlte ich, daß ich ihm gleichgültig war, daß er mich niemals zu seinesgleichen, niemals für voll zählte, das verdroß mich, und ich fing wieder an, mich zu fragen, warum ich plötzlich auf diese Hilfeleistung versessen war, die noch dazu meine eigenen Wünsche durchkreuzte.
II
Abends fragte man mich in dem kleinen Café am Alten Hafen, ob ich mich mit meiner Frau versöhnt hätte. Ich sagte ja. – Ob sie herkäme. – Nein, heute abend kaum. Wir seien versöhnt. Die Zeit des Einandernachlaufens sei vorbei. Sie erwarte mich ruhig daheim. – Bombello, der wieder gekommen war, fragte mich, ob die Passage für mich selbst sei. Er nehme grundsätzlich ähnliche Aufträge nur für Personen an, die er selbst begutachtet habe. Trotz dieser lobenswerten Vorsicht ahnte er nichts von dem Passagiertausch vor seiner Nase, da er den Arzt bisher nie erblickt hatte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, er hat uns immer in den Grenzen seines Berufes redlich bedient, uns nicht mit den Daten beschwindelt, und, als das Geld einmal ausgemacht war, nie aus einem erfundenen Anlaß einen Zusatz verlangt. Er betrachtete mich mit starkem Zwinkern, ein Tick, der ihm seit einer schiefgegangenen Sache geblieben war. Ich packte ihn und den Portugiesen in ein Taxi und fuhr sie nach Beaumont hinauf. Ich merkte sofort, daß beide mit ihrem neuen Kunden zufrieden waren. Und ich fühlte erstaunt und eifersüchtig, daß es sogar diesen beiden wohltat, ernst und aufmerksam angeredet zu werden. Wie es uns allen lächerlich wohltut, mit Ernst behandelt zu werden! Trotzdem ist es auch nur ein Trick von Heinz, sagte ich mir, ein Kunststück.Mich aber setzt er wahrscheinlich mit diesen beiden auf eine Stufe
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