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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Waggon zu Waggon, und spätestens am Ende des Zuges hatte Oleg sie erreicht, wenn ihn bis dahin keiner der Mitreisenden aufgehalten hatte. Außerdem machte Oleg einen Schritt, wo Milda drei brauchte, – das verringerte die Entfernung zwischen ihnen immer mehr. Eine aussichtslose Flucht!
    Als nur noch ein paar Meter zwischen ihnen lagen, begann Milda zu schreien.
    Ihre kleine helle Stimme überschlug sich, und während sie wie um ihr Leben rannte, blickte sie in die Abteile und wartete, daß jemand aufsprang und sich Oleg in den Weg stellte.
    Ein paar beherzte Männer taten es auch, erhoben sich aus den Polstern und rissen die Abteiltüren auf.
    Aber als sie sahen, wer da heranwalzte, als sie Olegs riesige Gestalt erkannten, verschwanden sie schnell wieder und zogen die Türen zu.
    Drei Männer, die aus dem Speisewagen kamen, wurden einfach zur Seite geschleudert, ehe sie protestieren konnten, und auch Mulanow, durch Mildas Geschrei alarmiert, bekam einen so heftigen Stoß vor die Brust, daß er fast über den Boden kugelte.
    Der wütende Riese trat ihm zu allem Überfluß auch noch in die Seite, und Mulanow hielt es für das beste, sich zunächst an die Wand zu kauern und abzuwarten.
    Erst als Oleg im nächsten Waggon verschwunden war, schrie der Schaffner mit gewaltiger Stimme:
    »Sitzen hier nur Feiglinge? Bleiben in den Polstern hocken und sehen gleichgültig zu, wie ein Mädchen gejagt wird! Alle Männer zu mir!«
    Ein paar Türen öffneten sich wieder. Verlegene Gesichter starrten ihn an.
    Ein kleiner dicker Mensch mit einer großen Brille drängte sich an den anderen vorbei und tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
    »Ich bin Awdej Iwanowitsch Lukratin«, sagte er. »Rechtsanwalt. Ich stelle fest, daß wir Reisende und keine Menschenfänger sind! Geschehen in einer Staatsbahn Unregelmäßigkeiten, so ist es die Pflicht der Beamten, für Ordnung zu sorgen, nicht die der Reisenden! Das ist eine völlig logische juristische Feststellung.«
    »Bravo, Lukratin!« rief einer aus dem Hintergrund. »Wir haben eine Fahrkarte gekauft, aber keinen Anrechtsschein auf ein Krankenhaus!«
    »Das ist eine Ausnahmesituation!« brüllte Mulanow. »Jeder sowjetische Bürger ist nach dem Gesetz …«
    »Das Gesetz kenne ich besser!« rief der kleine dicke Rechtsanwalt dazwischen. »Nirgendwo steht, daß man sich freiwillig zum Krüppel schlagen lassen muß …«
    »Im Krieg …«, schrie Mulanow.
    »Haben wir Krieg, Genosse?« rief Lukratin zurück. »Ist der Transsib ein Krisenherd wie der Vordere Orient? Geht es um Staatsinteressen?«
    »Es geht um einen Menschen, Awdej Iwanowitsch!«
    »Juristisch gesehen eine Privatsache, Schaffner Mulanow. Ich werde mich über Sie beschweren, daß Sie die Reisenden mit läppischen Dingen belästigen! Ein Mann läuft einem Mädchen nach – das kommt täglich tausendfach vor! Setzen wir uns wieder, Genossen! Schaffner Mulanow, diese Reise wird Folgen für Sie haben!«
    »Er hat mich zu Boden gerissen und getreten!« schrie Mulanow außer sich. »Ein wildes Tier!«
    »Dann machen Sie den Kerl kraft Ihres Amtes unschädlich!« Lukratin ging würdevoll zu seinem Abteil zurück. »Eine wahrhaft traurige Beamtenschaft, die sich nicht zu wehren weiß! Und wir wollen ein fortschrittliches Land sein …«
    Die Türen knallten zu, Mulanow stand allein im Waggon und zitterte vor Wut.
    Er wartete noch, ob nicht doch ein paar beherzte Männer zu ihm stießen, aber sie saßen alle auf ihren Herzen und blickten aus dem Fenster auf die vom Schnee erstickte Taiga.
    Dann warf er sich herum und rannte Oleg Tichonowitsch todesmutig nach. Von weitem hörte er Mildas herzerschütterndes Schreien.
    »Hilfe! Hilfe! Helft mir doch!«
    Auch Werner Forster hörte es, ohne zu ahnen, wer da schrie.
    Er blickte Karsanow an, der in einem Buch über die Oktoberrevolution las. Sie hatten bisher kein Wort mehr miteinander gesprochen.
    »Da schreit jemand!« sagte Forster. »Hören Sie? Hilfe! Eine Frau …«
    Karsanow klappte das Buch zu und hob den Kopf.
    »Tatsächlich! Das ist etwas Neues im Transsib! In Bauernzügen ist das anders, da verprügeln sich manchmal die Ehepaare, aber man gibt nicht viel darum. Es sind herrische Menschen, die Sibirier.«
    Das Schreien kam näher, und jetzt erkannte Forster die Stimme. Er sprang auf und trat auf den Gang.
    Hinten flog die Waggontür auf, und Milda stürzte in den Wagen, mit fliegendem Haar, den langen Stepprock mit beiden Händen gerafft, um schneller

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