Transsibirien Express
man dich so ansieht. Er will dich bis Wladiwostok mitnehmen?«
»Ja.«
»Und warum wohl, du kleine Idiotin?«
»Er ist ein gütiger Mensch …«
»Es gibt keinen Mann, der einem Mädchen etwas schenkt, ohne eine Gegengabe zu erwarten. Merk dir das!« Sie schloß ihre Schminktasche und warf sie ins Gepäcknetz. »Sieh dir seine Augen an! Sie sind sich alle gleich! Sie glotzen wie die Kälber, und man weiß genau, was sie denken …«
»Werner Antonowitsch ist anders!«
Milda sprang auf. Plötzlich hatte ihr kleines Gesicht Farbe bekommen, und ihre dunklen Augen blitzten sogar zornig.
»Du kennst eben nur eine bestimmte Sorte Männer …«
»Sie liebt ihn!« Klaschka lachte und schlug sich auf die prallen Schenkel. »Ha, sie liebt ihn wirklich! Sie wird ja ein Teufelchen, wenn man Werner Antonowitsch nur kitzelt …«
Mit einem Ruck riß Milda die Augen auf und rannte hinaus. Das dunkle Lachen Klaschkas verfolgte sie, als sie den Gang hinunterlief.
Sie ist widerlich, dachte Milda, gemein und widerlich! Warum mußte sie das aussprechen? Welch einen Sinn hat es denn, Werner Antonowitsch zu lieben? In sechs Tagen wird er das Schiff nach Japan besteigen, und ich werde ihn nie wiedersehen. Nie wieder …!
Sie blieb stehen und drückte das Gesicht gegen die kalte Scheibe des Gangfensters.
Draußen war die Taiga ganz nahe an den Schienenstrang herangerückt – ein vom Schnee erstickter Wald aus der Urzeit.
Nie wieder … Man begegnet einem Menschen und weiß, daß es ihn nach sechs Tagen nicht mehr geben wird.
Milda schloß die Augen und atmete tief durch. Das Herz tat ihr weh. Es war ein Schmerz, den sie nicht überwinden konnte.
Es gibt Menschen, die es wert sind, ins Gesicht geschlagen zu werden, überall, wo sie auftauchen. Man kennt das: Da kommt so ein Subjekt daher, bei dessen erstem Anblick man weiß: O je! Er hätte nicht geboren werden dürfen!
So einer war auch Oleg Tichonowitsch. Ein widerlicher Bursche, stark wie ein Bulle, Muskeln überall – selbst im Gehirn – und eben, weil er so stark war, allen überlegen, selbstherrlich, mit dem Gemüt einer Dampfwalze.
Er war Brückenbauer von Beruf, so einer, der ganze Stahlträger zusammenschweißt, ein ehrlicher, guter qualifizierter Beruf – aber in jedem Beruf gibt es Menschen, die den ganzen Stand in Verruf bringen können.
Oleg Tichonowitsch war, seit er in den Transsib gestiegen war, nur auf der Jagd nach Frauen gewesen.
Welch ein Ekel er war, bewies, daß selbst Klaschka seine Rubel verschmäht und ihn geohrfeigt hatte. Sie konnte sich das leisten. Fast alle Männer im Zug beschützten sie, und so hatte Oleg es aufgegeben, Klaschka mit seinen Anträgen zu verfolgen.
Nun aber traf er auf Milda, und das in einer Stunde, in der er wütend war über eine frauenlos verbrachte Nacht!
Er sah sie schon von weitem am Gangfenster stehen und schnalzte mit der Zunge.
Das muß sie sein, dachte er, Klaschka hat einen Lehrling im Zug, das hatte sich schon überall herumgesprochen.
Keiner wußte so recht, wer es aufgebracht hatte; und Mulanow, den Oleg Tichonowitsch gefragt hatte, gab zwar keine Antwort, dementierte das Gerücht aber auch nicht.
Und nun stand sie leibhaftig da … mit rot lackierten Fingernägeln und einem geschminkten Gesichtchen, äußerlich zwar ein Bauerntrampel, aber wer durch den groben Stoff zu blicken versteht, ahnte die Schönheit dieses Weibchens.
Heran, Oleg Tichonowitsch!
Er setzte sich in Bewegung, pfiff durch die Zähne und beschleunigte seinen Schritt, als sich Milda vom Fenster löste.
Sie blickte sich um, sah Olegs breites grinsendes Gesicht und erkannte sofort die Gefahr, die ihr drohte.
Da warf sie sich herum und rannte fort. Oleg Tichonowitsch stieß einen gellenden Pfiff aus, hieb mit der Faust gegen die Wagenwand und brüllte ihr nach:
»Stehenbleiben, Luderchen! Kommst du wohl her?«
Milda reagierte nicht. Im Gegenteil, sie hetzte durch den Gang und riß die Tür zum nächsten Waggon auf. Sie rannte weiter, aber Oleg folgte ihr mit weit ausgreifenden Schritten.
Er streckte seinen dicken Kopf vor und bekam dadurch etwas Tierisches: der nackte Instinkt nach einem Weib war wach geworden.
Es war eine regelrechte Jagd, die nun begann, eine gnadenlose Jagd, und – für Milda – eine aussichtslose Sache.
Denn es hatte wenig Sinn, vor Oleg Tichonowitsch davonzulaufen. Zwar war Milda flink wie ein Wieselchen, aber es blieb ihr keine Auswahl an Fluchtwegen.
Es gab nur eine Richtung, den Gang entlang, von
Weitere Kostenlose Bücher