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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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immer noch hinter Forster verkrochen hielt.
    »Da ist sie ja! Bin ich ihr nicht fein genug? Nimmt sie nur die Rubel von der ersten Klasse an? Von geschniegelten Genossen, von hochnäsigen Rotznasen?«
    »Das hätten Sie nicht sagen dürfen, Oleg Tichonowitsch!« Karsanow beugte sich etwas vor. »Das klingt nach Mißachtung der Angehörigen des Bauern- und Arbeiterstaates!«
    »Ich bitte darum –«, schrie Oleg außer sich, »daß mich alle hier Anwesenden am Arsch lecken!«
    »Das werden wir nicht tun«, Karsanows Stimme blieb so ruhig, daß allein ihr Ton die aufbrausenden Schaffner besänftigte. »Aber wir werden uns um Sie kümmern, Oleg Tichonowitsch! Haben Sie ein besonderes Interesse an Schuhen, Genosse?«
    »Genial!« stotterte Mulanow. »Genial, wie Sie das erkennen, Pal Viktorowitsch. Er war es, natürlich! Nur dieser Lump kann es gewesen sein.«
    »Und Milda wollte er bestimmt mit einem Ohrring bezahlen!« fuhr Wladlen Ifanowitsch dazwischen. »Das Erbstück einer armen Generalswitwe …«
    »Schuhe? Ein Ohrring?« Oleg zerrte an den Handschellen. Auch sein zweiter Versuch, vom Boden aufzustehen, scheiterte durch die Schulterschläge Vitalis.
    »Ist das ein Sondertransport von Wahnsinnigen? Wenn Sie mich loslassen, Genossen, stürze ich mich aus dem Zug! Lieber in der Taiga leben, als mit Ihnen bis Chabarowsk zu fahren!«
    »Er kann trotzdem nicht der Dieb sein«, sagte Mulanow, nachdem er Olegs Füße betrachtet hatte. Sie waren mindestens vier Nummern größer als diejenigen von Skamejkin. »Der Kerl hat die Schuhnummer eines Elefanten! Skamejkin aber ist ein normal gebauter Mensch.«
    »Er wird sie eintauschen wollen! Neue Schuhe! Und so ein Ohrring mit Brillanten ist ein wahres Kapital!« Wladlen Ifanowitsch zitterte vor Erregung. »Wer Frauen überfällt, klaut auch!«
    Das war eine sehr krumme Logik, aber sie kam in dieser Situation gerade richtig.
    »Nehmen wir an, dieser Dagorski ist der Dieb«, sagte jetzt Karsanow, den die lauten Proteste Olegs doch etwas beeindruckt hatten. »Wo versteckt man solche Dinge? Die Schuhe im Gepäck, den Ring irgendwo am Leib! Los, untersucht ihn! Nehmt ihn mit in den Dienstraum und entkleidet ihn bis auf die Haut!«
    »Eine blendende Idee!« Der Zugführer Vitali riß Oleg hoch. »Hinaus mit dir, du Klotz! Und wage keine Gegenwehr! Wir sind zu dritt!«
    Sie stießen Oleg Tichonowitsch aus dem Wagen und führten den laut Schimpfenden weg. Noch lange hörte man seine dröhnende Stimme:
    »Sie wollen mich entkleiden! Sie vergewaltigen einen harmlosen Reisenden! Seht meine Fesseln! So behandelt man einen Genossen, der eine gültige Fahrkarte nach Chabarowsk gekauft hat …«
    »Nun sind wir wieder allein«, sagte Karsanow zufrieden und schob die Abteiltür zu. »Natürlich ist dieser Oleg kein Dieb. Aber anders konnte ich ihn und die Schaffner nicht loswerden! Es kommt mir darauf an, jetzt mit Ihnen, Werner Antonowitsch, und mit diesem Frauenzimmer allein zu sein. Ich habe viele Fragen.«

V
    Es war Klaschka, die Milda noch einmal rettete.
    Zwischen Forster und Karsanow hatte sich so etwas wie eine Front aufgebaut.
    Sie saßen sich gegenüber, wie man früher in den Schützengräben gegenübergehockt hatte, bereit, aufeinander loszuschlagen, mitleidlos, bis zur völligen Vernichtung.
    Die bisher nur notdürftig vorgehaltenen Masken waren heruntergerissen. Man wußte nicht zu erklären, wie es kam, aber man haßte sich plötzlich.
    Daß Pal Viktorowitsch Karsanow mit einer Pistole in der Tasche reiste, war für Forster der letzte Beweis, daß der Russe nicht der war, als der er sich ausgab. Läuft ein biederer Agrarprofessor mit einer Schußwaffe herum?
    Und mit welcher Ruhe und Sicherheit er zugeschlagen und sich sogar noch die Zeit genommen hatte, eine abfällige Bemerkung über Judo zu machen …
    Da war eine Kaltblütigkeit, die man nicht lernte, wenn man sich mit Fünfjahresplänen beschäftigte oder mit der Anzucht neuer Tomatensorten in Kasakstan.
    Klaschka Iwanowna erschien also gerade zur rechten Zeit, stürzte in das Abteil und riß Milda an sich wie eine Mutter, die ein entlaufenes Kind endlich wiedergefunden hat.
    Dann sah sie Karsanow herausfordernd an.
    Pal Viktorowitsch verzog sein Gesicht, als flöße ihm allein der Parfümgeruch Klaschkas tiefsten Ekel ein.
    Die Hure des Transsib hatte ihre Arme wie ein Polyp um Milda geschlungen.
    »Was höre ich?« sagte sie mit ihrer wirklich ordinären Stimme. »Sie haben mein armes Vögelchen beschützt?

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