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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hinein. »Sie Sadist! Warum darf man Sie nicht standrechtlich erschießen?«
    Singend ging der Tenor den Gang entlang und verschwand in der Toilette.
    Der gesamte Waggon war geweckt.
    Auch Milda hob den Kopf und blickte schlaftrunken um sich.
    »Erst frühstücken?« fragte Forster noch einmal.
    »Von mir aus!« Karsanow nickte. »Ich schenke diese Stunde unserer menschlichen Annäherung. Politisch leben wir sowieso auf getrennten Sternen!«
    Auf seiner Morgenvisite kam Mulanow durch den Gang. Er beruhigte den General, versprach, mit dem Tenor einmal streng dienstlich zu reden, und kam dann in sein bevorzugtes Abteil.
    »Ein mieser Morgen«, berichtete er. »Der Genosse Skamejkin macht Schwierigkeiten. Er hat wieder keine Schuhe! Kaum wurden sie ihm zurückgebracht, hat die Miliz sie beschlagnahmt und in Irkutsk behalten. Er verlangt, daß ich das Wirtschaftsministerium in Moskau anrufen lasse, damit er sich beschweren kann. Mit seiner Seife wäscht sich …«
    »Breschnew nicht nur die Hände, sondern vermutlich auch …« Karsanow brach wütend ab.
    »Ich hätte mir nie erlaubt, so etwas auch nur zu denken, Genosse Oberst!«
    Mulanow setzte sich zu Milda aufs Bett; sie war etwas an die Wand gerutscht.
    »Was soll ich tun?«
    »Fragen Sie doch diesen Plotkin, der die Schuhe beschlagnahmt hat.«
    »Das geht nicht! Er ist ja offiziell nicht im Zug …« Mulanow rieb sich verlegen die Hände. »Könnten Sie das nicht übernehmen?«
    »Ich? Sind Sie verrückt, Boris Fedorowitsch? Ich bin ein Reisender – wie alle anderen! Mich gibt es offiziell auch nicht! Das ist keine Amts-, sondern eine Zivilreise. Ich bitte, diese Diskretion zu wahren.«
    »Das haben Sie gut gesagt, Pal Viktorowitsch.« Forster lächelte ihn an. »Wenn ich sie richtig verstanden habe, reisen Sie als Privatmann und nicht als Oberst des KGB.«
    »Ich bin immer im Dienst!« bellte Karsanow zurück.
    »Dann ersuche ich Sie, sich um den Genossen Skamejkin zu kümmern, Genosse Oberst«, hakte Mulanow sofort ein.
    Die Sache mit den Schuhen hatte nämlich einen Haken.
    Skamejkin hatte gar nicht daran gedacht, sich zu beschweren. Er hatte resigniert, hatte wieder auf seiner Bank gesessen und die viel zu weiten, geliehenen Schuhe getragen. Still hatte er philosophiert und über sein ungeheures Schicksal nachgedacht.
    Da setzte sich Mulanow zu ihm, betrachtete mitleidsvoll die alten Schuhe und begann:
    »Man braucht sich doch eigentlich eine solche Behandlung nicht gefallen zu lassen, Genosse! Wer sind Sie denn? Und wo leben wir? Sie sind ein ehrbarer Parteigenosse, mit dessen Seife sich sogar … Na ja, und wir leben in einem Staat, in dem Gerechtigkeit an jede Hauswand gemalt ist. Aber was tut man Ihnen? Man beraubt Sie zweimal Ihrer Schuhe! Das letztemal sogar amtlich! Ich würde es den Beamten geben …«
    Dementi Michailowitsch Skamejkin hatte dieser Rede mit wachsender Unruhe zugehört. »Sie sind ein wahrer Freund«, sagte er ergriffen zu Mulanow, als dieser schwieg. Er konnte ja nicht ahnen, daß der Schaffner diesen Dorn nur deshalb in seine Seele stach, um Milda wieder für einige Stunden vor Karsanow zu retten. Der Morgen würde schrecklich für sie werden, hatte Mulanow ganz richtig kombiniert. Und jetzt haben wir keine Klaschka mehr, die immer einen Ausweg wußte …
    Wie sie das vor zwei Tagen geschafft hat! Stellt sich vor Karsanow hin und beginnt sich auszuziehen. Das war eine Leistung! Gute Klaschka!
    Hinter ihr konnte man sich sicher fühlen wie hinter einem Felsen. Nun liegt sie im Abort Nummer fünf, unter dem eingeschlagenen Fenster, steif gefroren und in die Kehle gestochen.
    »Was soll ich tun?« fragte Skamejkin erregt. »Meine Schuhe sind in Irkutsk geblieben! Soll ich verlangen, daß man sie mir nach Tschita fliegt und dort wieder übergibt?«
    »Tschita ist zu nah, das schaffen sie nicht!« hatte Mulanow geantwortet.
    Das war eine wunderschöne verrückte Idee: die Schuhe per Flugzeug abliefern! Damit konnte man Karsanow beschäftigen, das würde ihn aus der Fassung bringen.
    »Aber Chabarowsk, das können Sie verlangen! Fordern Sie, daß man Ihnen die Schuhe nach Chabarowsk fliegt! Ihre Idee ist würdig eines freien Bürgers, Dementi Michailowitsch …«
    Skamejkin kam in Fahrt. Er sprang auf und hielt in seinem Großabteil einen Vortrag über Menschenwürde.
    Er erntete Klatschen und Hochrufe. Das feuerte ihn noch mehr an. Von nun an ging er auf Strümpfen, die geliehenen menschenunwürdigen Schuhe wollte er mit Verachtung

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