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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sowchosen-Verwaltung … aber Antwort bekam sie nie.
    Der alte Lipski verlor seinen Posten als Leiter der Traktorenstelle und mußte in den Stalldienst.
    Dort kreuzte nun Kuran öfters auf, wischte mit einem weißen Taschentuch über irgendeinen Balken, der natürlich staubig war, und brüllte Lipski an:
    »Ein Faulenzer! Ein blinder Hammel! Wozu bezahlt dich das Volk? Damit du im Stroh liegst und pennst? Das Vieh verkommt, der Stall setzt Moos an, und so ein Faulpelz will auch noch Rubel dafür haben!«
    Tichon Iwanowitsch Lipski fuhr selbst in die Stadt, aber in Kiew hatte man keine Zeit für ihn. Man kennt das ja … man möchte den zuständigen Beamten sprechen, aber dieser Beamte ist davon nicht zwei Monate vorher verständigt worden und kann deshalb nicht. Oder der zuständige Beamte ist doch nicht zuständig und weiß auch nicht, wer zuständig ist …
    Überall das gleiche, Genossen!
    Lipski lief einen ganzen Tag durch die Behörden, seine Fußsohlen brannten; genau neunzehnmal erzählte er den verschiedenen Beamten die Geschichte seiner Tochter Milda, erzählte, wie der fette Kuran Milda nachstellte und deshalb alle tyrannisierte …
    Alle, die ihm zuhörten, gaben ihm recht. Ja, Kyrill Michailowitsch sei eine große Sau … und dann schickten sie ihn weiter zum nächsten Zimmer.
    Treppauf, treppab, durch lange Flure …
    Als Lipski am Abend wieder auf der Straße stand, weil die Ämter geschlossen wurden, hatte er viel erzählt, sich die Füße wundgelaufen, aber nichts erreicht.
    Aber irgend etwas mußte doch hängengeblieben sein: Zwei Tage später ließ Kuran den alten Lipski zu sich kommen. Er warf ihm die Arbeitspapiere ins Gesicht und rief höhnisch:
    »Sich in Kiew beschweren, – welch ein Herzchen ist dieser Lipski! Nun gebe ich dir Gelegenheit, ruhiger zu leben! Hinaus mit dir! Und spar dir eine neue Reise nach Kiew … die Entlassung ist schon von der Zentrale unterschrieben …«
    So kam der Herbst, die Regenzeit, und die Arbeit auf der Brigade drei wurde zu einer Teufelei.
    Nur ein einziger Lichtblick blitzte auf: Luka kam über Sonntag zu Besuch.
    Am Abend ging er mit Milda tanzen, unter den Augen des fetten, vor Wut knirschenden Kuran, küßte sie beim Walzer genau in dem Augenblick, als sie an Kuran vorbeischwebten, und brachte sie dann nach Hause.
    »Ich habe in Kiew eine Tante«, sagte Luka. »Ich werde ihr schreiben. Es gibt viele Fabriken in Kiew, die junge Mädchen suchen. Leichte Arbeit gegen diese Schufterei in eurer Brigade! Bald hat deine Quälerei ein Ende, Milda!«
    Sie küßten sich wieder. Es war der erste Kuß, den Milda bis in die Zehenspitzen spürte. Ein wundervolles Gefühl, das sie mit geschlossenen Augen genoß.
    In dieser Nacht wurde Kyrill Michailowitsch in seinem eigenen Bett überfallen. Plötzlich klirrte eine Scheibe, eine dunkle Gestalt sprang ins Zimmer, und bevor Kuran noch aus dem Bett hüpfen konnte, bekam er bereits den ersten wuchtigen Schlag gegen sein dickes Kinn.
    Der Unbekannte mußte ein kräftiger Bursche sein, jeder Schlag rüttelte Kuran durch, er taumelte von Wand zu Wand, versuchte eine matte Gegenwehr und rutschte schließlich am Kleiderschrank zu Boden.
    Aber Kuran war noch nicht besinnungslos, wie der Angreifer glaubte, und so erkannte der fette Brigadier im fahlen Nachtlicht, undeutlich zwar, aber unverwechselbar, den Mann, der ihn zusammengeschlagen hatte: Luka!
    Der Angreifer stieg wieder aus dem Fenster und verschwand.
    Kuran zeigte ihn nicht an. Er tat so, als sei nichts geschehen.
    Aber dann passierte auf der Außenstelle ein entsetzliches Unglück: Eine Kette, mit der man Baumwurzeln aus der Erde zog, zerriß, und die herumschnellende stählerne Schlange hieb Luka, der neben der Wurzel stand und dem Traktorführer Anweisungen gab, glatt den Kopf ab.
    Ein Unfall, einwandfrei.
    Ketten können reißen. Materialermüdung – so nennt man das! Die ganze Sowchose trauerte. Luka bekam ein großes Begräbnis mit Musik, Fahnen, vielen Blumengebinden, schönen Reden und Nachrufen. Sogar ein Beamter von der Zentrale in Kiew war gekommen.
    Die zerrissene Kette aber verschwand, bevor man sie näher untersuchen konnte. Eine Materialermüdung zeigt niemals Sägestellen …
    Eine Woche nach dem Tode Lukas ließ Kuran großzügig Milda zu sich kommen.
    »Wie steht es, Mildaschka?« fragte er freundlich. »Kann man an Lukas Stelle treten?«
    »Nein! Sie stinken, Genosse!« antwortete Milda.
    Es war eine kurze, prägnante Unterhaltung.
    Ja, und dann kam

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