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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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führte sie zu einem kleinen wackeligen Tisch.
    »Sie müssen ihn atomisieren …«, meinte der Kommissar. »Bitte!«
    Milda Tichonowna musterte den Tisch. Dann holte sie aus, schwang auch die Axt … aber als sie über ihrem Kopf kreiste, zerbrach plötzlich etwas in Milda.
    Die Axt fiel ihr aus der Hand, krachte auf die Dielen … Milda schwankte, knickte in den Knien ein und rollte dem Kommissar vor die Füße. Es war, als habe das Gewicht der Axt ihr Rückgrat zerbrochen.
    »Tragt sie vorsichtig hinaus …«, sagte der Kommissar ernst. »Ganz vorsichtig. Und bringt sie nach Kiew. Wir haben das Gesetz zu vertreten und nicht die zerstörte Seele einer jungen Frau …«
    Die Gerichtsverhandlung fand in Kiew statt.
    Wer in der Sowchose ›Maxim Gorkij‹ einen freien Tag hatte, saß hinten auf den Bänken. Halb Kargopow war in die Stadt gekommen, zum Teil auf offenen Bauernkarren.
    Der alte Jefim Timofejewitsch, von dem behauptet wurde, er habe schon den Russisch-Japanischen Krieg mitgemacht – was maßlos übertrieben war, aber er widersprach dem nicht –, rückte sogar mit zwei Ochsen, die er vor einen Mistwagen gespannt hatte, in Kiew ein.
    Er war drei Tage von Kargopow aus unterwegs gewesen und hatte auf jeder seiner Stationen die Tragödie der schönen Milda Tichonowna Lipski erzählt. Zwischen Kargopow und Kiew wußte jeder, was geschehen war, und alle hatten Mitleid mit Milda.
    Die Verhandlung war kurz. Milda gestand alles, die Mutter weinte laut, ihr Vater Tichon Iwanowitsch Lipski fluchte laut und rief in den Saal, Kuran sei ein Hurenbock gewesen, aber das Gericht erkannte das nicht an.
    Wo käme man hin, wenn man allen Männern, die einem fremden Rock nachjagen, die Schädel spalten wollte? Man hätte das Männergeschlecht bald ausgerottet …
    Unter dem Gestöhne der Leute von Kargopow verurteilte das Gericht Milda Tichonowna zu zehn Jahren Zwangsarbeit. Das war sogar ein mildes Urteil … das Vorleben Kurans schlug wirklich strafmildernd zu Buche.
    Aber zehn Jahre Sibirien … Genossen, man würde Milda nicht wiedersehen. Klötze von Männern legt so ein Straflager in die Grube, wie soll es da ein Schwänchen wie Milda überstehen?
    Der alte Jefim Timofejewitsch spuckte in den Saal und kam nach vorn zu den verblüfften Richtern. Ein übler Gestank von Jauche flog vor ihm her, aber das war es nicht, was alle erschütterte …
    Der Uralte ließ seine Hose herunter, zeigte sein faltiges Hinterteil dem Hohen Gericht und brüllte heiser die bekannte Aufforderung.
    Man konnte ihn wegen Beleidigung des Gerichtes nicht belangen … Jefim war außerhalb aller Strafwürdigkeit.
    Die Miliz hatte es schon längst dem Gericht gemeldet, daß es auf der Straße einen riesigen Menschenauflauf gegeben hatte. Vor der Treppe des ehrwürdigen Gebäudes parkte eine Mistkarre mit zwei halbblinden Ochsen davor …
    Noch einmal sah Milda ihre Familie wieder. Vor dem Abtransport nach Sibirien – wohin, das wußte keiner und niemand konnte Auskunft geben –, durfte man die Verurteilte zum Abschied besuchen.
    In einem kleinen Raum, getrennt durch einen langen Tisch, saß man sich gegenüber … auf der einen Seite Milda mit dem Wärter, auf der anderen Vater Lipski, die Mutter, die Schwester und der Bruder.
    Vor dem Raum stapelten sich Kartons und Säcke.
    Geschenke waren es, Geschenke aus ganz Kargopow für die Reise in ein unbekanntes Land.
    Es war klar, daß Milda kaum etwas davon mitnehmen durfte, aber es ist auch wichtig, nur zu zeigen, wieviel Liebe einen Menschen auf einem Weg begleiten kann …
    »Ich bin sehr stolz auf dich!« sagte Tichon Iwanowitsch, der Vater. »Gott segne dich, mein Töchterchen. Übersteh die Jahre gut. Wir warten auf dich!«
    Und die Mutter sagte mit erstaunlich fester Stimme: »Das ganze Land spricht von dir. Ich möchte dich umarmen, aber ich darf es nicht.«
    »Ich blicke mal weg …«, sagte der Wärter und drehte sich um.
    Sie umarmten und küßten sich, der Bruder steckte Milda eine ganz klein zusammengefaltete Landkarte von Sibirien zwischen die Brüste, und ihre Schwester schob ein zusammenklappbares Taschenmesser hinterher.
    »Wir warten!« sagte die Familie dann im Chor.
    Es war das Signal für den Wärter, sich wieder umzudrehen.
    Die Verwandtschaft saß wieder sittsam hinter dem Tisch.
    Eine Landkarte und ein Taschenmesser … das muß genügen, um Sibirien zu bezwingen! So groß ist der Glaube der Russen an die eigene Kraft.
    An einem frühen nebligen Morgen wurden sie

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