Transzendenz
Schmutz. Die meisten Wände waren türenlos. Die Gänge teilten und verzweigten sich bei Gabelungen, rechtwinkligen Abzweigungen und komplexen Kreuzungen. Die Gruppe wechselte sogar die Ebenen, stieg Leitern hinauf und Treppen hinunter. Es war ein dreidimensionales Labyrinth, durch das Berra sie selbstsicher führte.
Die Campocs schienen die Orientierung verloren zu haben. »Sind wir jetzt um drei Seiten eines Quadrats gelaufen?« - »Waren wir hier nicht schon einmal?«
Alia und Drea, die auf einem Sternenschiff geboren waren, hatten jedoch einen guten, angeborenen Orientierungssinn. Alia wusste stets, wo sie sich in Relation zum Draußen befand. Und sie sah den Weg, den sie zurückgelegt hatten, bildlich vor sich: Wenn er auch voller Windungen und Wendungen war, so führte Berra sie doch tief ins Herz des Hügels hinein. Es war ein tröstlicher Gedanke, dass sie und Drea notfalls im Nu hier herausskimmen konnten.
An einer Stelle, wo zwei Gänge aufeinander stießen, trafen sie auf Aktivität. Hoch oben an einer Wand flackerte ein versenktes Licht. Geschöpfe klammerten sich an die Wand, ein Wirrwarr langer Gliedmaßen; drei oder vier von ihnen arbeiteten offenkundig an dem Licht. Berra wollte eindeutig weitergehen, aber die Besucher wurden langsamer, blieben stehen und schauten neugierig nach oben, und sie musste warten.
Im trüben Licht fiel es Alia schwer, die Arbeiter deutlich zu erkennen. Ihre Hände und Füße hatten jeweils fünf gespreizte Finger und Zehen, aber an der Spitze des Fingers oder Daumens saß ein großer Ballen, der mühelos an der glatten Wandfläche haftete. Ihre Glieder waren sehr lang und dünn, länger als ihre mageren Körper, was ihnen das Aussehen von Spinnen verlieh. Sie schienen das kaputte Licht abzulecken, mit rosafarbenen Zungen, die sich aus ihren Mündern entrollten. Ihre Schädel waren klein, die Hirnpfannen geschrumpft, dachte Alia. Aber ihre Gesichter, besonders die Augen, waren ihr menschlichstes Merkmal, und selbst während ihre Zungen an der Lampe arbeiteten, schauten sie furchtsam zu den Besuchern herab.
»Denkt daran, wir sollen nicht mit ihnen sprechen«, sagte Bale.
Reath schnaubte. »Ich bezweifle, dass sie euch verstehen würden, wenn ihr es tätet.«
»Was sind das für Wesen?«, fragte Drea.
»Spezialisten«, sagte Reath. »Wie alle hier. Nachmenschen, die dafür sorgen, dass alles weiterhin funktioniert, und die sich an ihre jeweiligen Rollen angepasst haben.«
Berra wurde allmählich nervös. Stumm lief sie in dem Gang hin und her, den sie von hier aus nehmen wollte.
Schließlich hatte Alia Mitleid mit ihr. Sie führte ihre Gruppe von der Kreuzung weg, jedoch nicht, ohne sich noch ein paar Mal zu den Arbeitern an der Wand umzuschauen.
Nach weiteren hundert Schritten blieb Berra stehen. Sie befanden sich in einem Korridorabschnitt, der ebenso nüchtern und nichts sagend war wie der Rest. Aber Berra tätschelte mit ihrer kleinen Hand die Wand, und eine Tür öffnete sich, wie sich Lippen teilten. Übel riechende Luft strömte in den Korridor. Sie war heiß und feucht, und ihr Gestank war unverkennbar, obwohl sie von den Gesichtsmasken gefiltert wurde. Sie wichen alle zurück, außer Berra.
»Lethe«, sagte Drea. »Das ist Scheiße!«
Berra wartete geduldig an der Tür, den Blick auf Alias Gesicht gerichtet.
»Was ist hinter dieser Tür?«, verlangte Alia zu wissen.
Berra sagte: »Der Weg zu den Lauschern.«
»Kommt schon«, sagte Reath entschlossen. Er trat durch die Tür.
Alia folgte ihm widerstrebend – und tauchte in einen Mief aus stinkender Luft ein. Zum ersten Mal war sie dankbar für ihre Gesichtsmaske. Der Raum war riesig, seine fernen Wände verschwanden in feuchtem Dunst. Aber er wurde von einem mit Flüssigkeit – vermutlich Wasser – gefüllten Tank fast von der Größe eines Sees beherrscht. Das Wasser war trübe, bräunlich und so warm, dass Dampf von seiner Oberfläche aufwallte. Kleine Wasserfälle schossen aus den Wänden hervor und führten dem randvollen Teich weitere Flüssigkeit zu, und große Niedrigschwerkraftwellen schwappten mit leisem Gurgeln an die Wände des Tanks.
Ein Kopf streckte sich aus dem Wasser. Alia erhaschte einen Blick auf eine niedrige Stirn, überraschte blaue Augen und einen großen Mund in einem monströsen Gesicht. Der Mund stand klaffend weit offen, sodass Wasser mitsamt seiner Abwasserfracht hineinlief, und dann schloss sich der Mund fest. Ein muskulöser Rücken mit knotigen Wirbeln und kurzen, flach
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