Transzendenz
vielleicht fünfzig Jahren, gut in Form, mit heller, gesund aussehender Haut. Er trug einen ordentlichen, anonymen Geschäftsanzug in einem Stil, der sich seit anderthalb Jahrhunderten nicht wesentlich geändert haben dürfte. Er lächelte vernünftig. »EI heißt Sie willkommen in Kalifornien.«
Shelley machte ein finsteres Gesicht; sie war solchen VR-Auftritten gegenüber notorisch unduldsam. »Wer, zum Teufel, sind Sie?«
»Verzeihung. Mein Name ist Ruud Makaay…« Er sei leitender Angestellter von Earth Inc., sagte er, zuständig für »Außenkontakte«, wie er es nannte. »Natürlich ist das eine VR-Projektion. Ich, der Ruud aus Fleisch und Blut, werde heute bei EI Ihr Gastgeber sein – in persona, sobald wir gelandet sind.« Er sprach fließend Englisch; später erfuhr ich, dass er in Wirklichkeit Niederländer war.
Shelley fragte: »Und diese Algenblüte im Meer?«
»Das ist eine Demonstration einer unserer simpleren Techniken. Die Produktivität des Ozeans lässt sich mit der präzise dosierten Injektion bestimmter Eisenverbindungen stimulieren. Das Ergebnis ist die ›Blüte‹, die Sie dort unten sehen. Auf diese Weise soll Kohlendioxid aus der Luft in den mikroskopischen Körpern der kleinen Geschöpfe gebunden werden, aus denen das Plankton besteht. Wenn es dort unten ist«, sagte er grinsend, »kann es nicht hier oben in der Luft sein und zum Treibhauseffekt beitragen. Zwecks Steigerung der Aufnahmeeffizienz experimentieren wir mit diversen genmanipulierten Entwicklungen von Planktonarten – von denen es viele gibt, das ist eine komplette Ökologie da unten, Sie wären überrascht. Jetzt schauen Sie dort hinüber.« Er zeigte nach rechts.
Als ich hinuntersah, erkannte ich eine Reihe großer, aber skelettaler Strukturen, die auf Pontons auf der Wasseroberfläche schwammen. Es waren aufrechte Reifen, in denen sich lange Windmühlenflügel im Meereswind drehten: jeder von ihnen war rund hundert Meter hoch und hatte Ähnlichkeit mit einem riesigen Schneebesen. Als das Flugzeug über den Turbinen herunterging, sah ich, dass sie von einem fahlen, nebelbankartigen Dunst umgeben waren. Aus der Nähe war die schiere Größe dieser filigranen Maschinen atemberaubend, und ihre von der untergehenden Sonne geworfenen Schatten waren lang und anmutig.
»Sprühturbinen«, erklärte Makaay. »Eine weitere unserer simpleren Ideen. Man sprüht einfach Meerwasser in die Luft, um Wolken zu erzeugen.«
»Wozu?«, fragte Shelley. »Um Regen auszulösen?«
»Eher im Gegenteil«, antwortete er. »Die Entstehung der Wolken soll angeregt werden, um ihren Reflexionsgrad zu erhöhen. Die Wolken sollen das Sonnenlicht blockieren…« Wassertröpfchen formten sich zu einer Wolke, wenn Dunst sich um Saatpartikel sammelte, »Staubkondensationskeime« in Makaays Terminologie. Die Idee war, so viele Keime in eine Wolke zu laden, dass sich die Tröpfchen vervielfachten, aber nicht groß genug wurden, um als Regen zu fallen. So wurde die Wolke weißer und hielt das Sonnenlicht fern.
Obwohl die von Earth Inc. vertretenen Geotech-Lösungen gewaltige Dimensionen haben konnten, basierten sie Makaay zufolge auf zwei einfachen Prinzipien. Die Erde nahm Wärme von der Sonne auf; und ein Übermaß an Kohlendioxid in der Luft bewirkte, dass zu wenig von dieser Wärme wieder entweichen konnte. Deshalb beruhten die EI-Lösungen entweder auf einer Reduktion der von dem Planeten aufgenommenen Sonnenenergiemenge durch Erhöhung des Reflexionsvermögens der Erde – Makaay nannte das »Albedo-Manipulation« – oder auf dem Entzug von Kohlendioxid aus der Luft, der »Kohlenstoff-Sequestrierung«.
»Und hier sehen Sie auf einen Blick zwei unserer Lösungen im praktischen Einsatz, zumindest auf Demonstrationsniveau. Deshalb bringen wir unsere Besucher nach Möglichkeit persönlich hierher. Nichts vermittelt einem einen so guten Eindruck, wie wenn man es mit eigenen Augen sieht.«
Shelley warf mir einen Blick zu. »Primatenpolitik«, sagte sie. »Ich hab’s Ihnen ja gesagt.« Sie wandte sich an Makaay. »Das gilt sogar für Sie. Sie sind ein großer, schwerer, hoch gewachsener Mann mit Anzug. Auch heute sind all die Kerle an der Spitze noch so wie Sie. Zu Beginn meines Arbeitslebens habe ich mir einen steifen Hals geholt, weil ich ständig zu meinen Chefs aufgeblickt habe. Es war wie im Wald.« Sie kam mir ein wenig verstimmt vor, eine Spur zu aggressiv, ja sogar unhöflich. Aber sie hatte noch nie viel Geduld mit Managern, Bürokraten und
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