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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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musste über Seile springen und Blöcke von Ausrüstungsgegenständen, Generatoren, VR-Projektoren und Heizgeräten umlaufen. Weitere Wachleute musterten mich, als ich an ihnen vorbeikam, und ich sah, wie sie in die Luft sprachen und Meldung machten, aber ich wurde nicht aufgehalten.
    Auf der anderen Seite des Zeltes kam ich stolpernd zum Stehen. Tom schloss schwer atmend zu mir auf.
    Da war sie: Morag. Sie stand auf einer freien Fläche neben der Zeltwand und schaute mich an. Sie trug einen schlichten blauen Kittel, ihre Lieblingsfarbe, eine Farbe, die ihre Augen betonte, wie sie immer sagte. Trotz des arktischen Windes schien sie nicht zu frieren. Sie war höchstens fünfzig Meter von mir entfernt, nur fünfzig Schritte. So nah war sie noch nie gewesen. Und sie lief nicht weg, schwebte nicht geheimnisvoll durch Flure und verschwand auch nicht im Staub oder im Nebel. Sie stand einfach nur da und lächelte mich an. Ihre Hände waren offen, wie um mir zu zeigen, dass sie mir nichts Böses wollte.
    Einen Moment lang saugte ich jedes Detail von ihr auf, die Haare, die im Wind über ihre Stirn flatterten, die Art, wie das Kleid an ihrem schlanken Körper hing – wie eine Fahne, die sich um einen Mast gewickelt hatte.
    »Sie ist es«, sagte Tom. »Sie ist es wirklich.«
    »Du siehst sie also«, hauchte ich.
    »Ja. Dad… was machen wir jetzt?«
    »Keine Ahnung. So wie diesmal war es noch nie.«
    Ich breitete die Hände aus, eine Imitation ihrer Geste. Vorsichtig trat ich erst einen, dann einen weiteren Schritt auf sie zu. Ich sah aus wie ein Polizist, der sich einem Selbstmordattentäter näherte, dachte ich. Sie wich immer noch nicht vor mir zurück, wie in all jenen albtraumhaften Verfolgungsjagden der Vergangenheit. Sie sah einfach nur lächelnd zu, wie ich näher kam. Ein Teil von mir bemerkte die leuchtenden Stäubchen, die vor meinen Augen tanzten. Die Luft war von Überwachungsgeräten der EI-Sicherheitssysteme gesättigt. Es bestand kein Zweifel daran, dass es eine vollständige und klare Aufzeichnung dieser Begegnung geben würde.
    Und für mich bestand kein Zweifel daran, dass Morag dies bewusst geschehen ließ, dass es ihre Entscheidung war, alle Barrieren zwischen uns zu durchbrechen. Ich fragte mich, was sie jetzt hier zu suchen hatte. War sie wegen des Hydratprojekts gekommen? Hatte Rosa Recht, dass Morag irgendwie ein Engel aus der Zukunft war, der von bedeutsamen Ereignissen angezogen wurde?
    Ich war ihr jetzt so nah, dass ich Einzelheiten erkennen konnte, die winzigen Hautunreinheiten, den Schönheitsfleck auf ihrer Wange, die kleine Narbe an ihrer Stirn. Sie sah genauso aus, wie ich sie aus der Zeit vor ihrer Schwangerschaft – vor den tödlichen Wehen – in Erinnerung hatte. Ihr Tod lag siebzehn Jahre zurück, aber sie war keinen Tag gealtert. Seltsamerweise hätte ich es in jenem Moment vielleicht ungewöhnlicher gefunden, wenn sie gealtert wäre. Sie wirkte irgendwie massiv, erfüllt von Materie und Licht; sie trat aus dem Hintergrund hervor, als wäre sie in ein verblichenes Foto eingefügt worden. Und immer noch ging sie nicht fort.
    Zehn Schritte von ihr entfernt blieb ich stehen. Ich hatte Angst davor, was passieren mochte, wenn ich es zu weit trieb. Wenn ich ihr zu nahe kam, wenn ich sie zu berühren versuchte, würde sie dann wie eine Blase zerplatzen?
    »Morag. Kannst du mit mir sprechen? Was willst du?«
    Sie lächelte ermutigend. Dann sprach sie. Es war zweifellos ihre Stimme, hell, luftig, gewürzt mit einer Prise ihrer irischen Herkunft. Aber ihre Worte waren ein rasendes Geschnatter, genau wie beim Riff und im Hotelflur. Ihr Ton klang sehnsüchtig, und ihre strahlenden Augen waren auf mich gerichtet. Ich brachte es nicht über mich, den Blick abzuwenden. Doch als der Moment sich in die Länge zog und nichts anderes von ihr kam als dieser seltsame, komprimierte Pseudo-Monolog, erfüllte mich so etwas wie eine ängstliche Traurigkeit.
    Eine Sirene ertönte und hallte über die Wasserfläche. Sie kam von der Bohrinsel draußen auf dem Meer. Verwirrt schaute ich in diese Richtung und sah Dampf in die Luft steigen. Ich wusste, dass die Sirene das Signal für den Start des Probelaufs gewesen war – und der leicht gedämpfte Jubel im Innern der Kuppel verriet mir, dass es ein Erfolg gewesen war, dass die Maulwürfe gestartet waren und ihre Arbeit verrichteten. In diesem Moment hätte es mich nicht weniger interessieren können. Ich drehte mich wieder zu Morag um.
    Und sie war fort,

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