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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie sich nicht ausreichend mit der Gegenwart und vernachlässigte die ärmlichen Lebensumstände ihrer menschlichen Subjekte.
    Durch die Wände der Hütte sah sie andere Mitglieder der Gemeinschaft, andere Transzendenten. Sie waren nur ein Haufen sehr alter Menschen, die sich langsam und vorsichtig ihren Weg durch die uralten Trümmer der Kathedrale bahnten, gefolgt von ihren Dienst-Bots und ein paar menschlichen Betreuern. Heute waren die Bewegungen der Transzendenten verstört und nervös, als ob ihnen etwas schwer zu schaffen machte.
    Es ist der Zweifel, dachte Alia beklommen. Ein gewaltiger Zweifel, der im kosmischen Geist Wurzeln geschlagen hat und auf die zerbrechlichen Körper dieser Transzendenten zurückschlägt. Deshalb wirken sie so verstört. Und vielleicht bin ich die Quelle dieses Zweifels.
    Drea schaute ebenfalls zu den Unsterblichen hinaus. Kühn fragte sie Leropa: »Warum bist du nicht so wie die?«
    Leropa blickte aus der Hütte auf ihresgleichen. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Boden, ohne dass es ihr Unbehagen zu bereiten schien. »Ein Grund, vielleicht. Ich hatte nie Kinder.«
    Alia beugte sich vor. Es war das erste Mal, dass Leropa etwas über ihre eigene Vergangenheit erzählte. »Nein? Warum nicht?«
    »Weil ich unsterblich bin. Hätte ich Kinder gehabt, so wären dem Diktat der Unfallstatistiken zufolge mindestens einige von ihnen vor mir gegangen, selbst wenn sie mit meinesgleichen gezeugt und folglich selber unsterblich gewesen wären. Die Evolution hat uns Menschen nicht dazu bestimmt, unsere Kinder zu überleben. Konnte ich mir das also nicht ersparen?«
    Drea sagte: »Aber sie hätten selbst auch wieder Kinder gehabt.«
    »Ja, und was dann? Man verspürt ein Band zu seinen Urenkeln, wie ich gehört habe, und sogar noch ein oder zwei Generationen weiter. Aber danach werden die Gene von einer schlammigen Flut des Samens und der Eizellen von Fremden verdünnt. Hin und wieder erinnert dich dann eine zufällige Ansammlung von Merkmalen in der großen Schar deiner Nachkommen an dich selbst, deine Kinder und das, was einst war. Aber meistens wird das, was dich ausgemacht hat, einfach weggespült, wie alles andere in diesem unserem flüchtigen Universum.
    Und trotzdem pflanzen sich deine Nachfahren immer weiter fort. Bald ist der Abstand so groß, dass sie nicht mehr das Gefühl haben, als hätten sie überhaupt noch etwas mit dir zu tun. Nach tausend Jahren haben sich ihre Glaubenssysteme vollständig verändert. Gut möglich, dass sie nicht einmal mehr dieselbe Sprache sprechen wie du. Und dein genetischer Beitrag verdünnt sich weiter, breitet sich wie eine Krankheit in der Bevölkerung aus, bis jeder und niemand ein Teil von dir ist. Wenn genug Zeit vergeht, wird nichts bewahrt, Alia, nichts, was man gebaut hat, nichts, was man weitergibt, nicht einmal das eigene genetische Erbe, außer in einem kalten biochemischen Sinn. Wie niederschmetternd und trostlos das ist, und wie sehr es einen isoliert! Und es ist natürlich alles völlig irrelevant.«
    »Irrelevant wofür?«
    »Für das große Projekt der Unsterblichkeit – des persönlichen Überlebens. Wenn du die Entscheidung triffst, nicht zu sterben, Alia, dann tust du es für dich, nicht für deine Nachfahren – weil du beschließt, die Bühne nicht für sie zu räumen.«
    »Also konkurriert man mit den eigenen Kindern.«
    »Es bleibt einem gar nichts anderes übrig. Deshalb entscheiden sich nur von Sentimentalität und Zweifeln verwirrte Individuen, Kinder zu bekommen; es widerspricht dem grundlegenden Ziel der Langlebigkeit.«
    Und selbst den Impulsen der Gene wurde in gewissem Sinn Genüge getan, dachte Alia. Die Gene strebten nach ihrem eigenen biochemischen Überleben. Wenn sie nicht an die Jungen weitergegeben werden konnten, dann befand sich ihr einziges Mittel zum Überleben im Körper ihres unsterblichen Wirts. Dies war die finale Logik der Unsterblichkeit: Eine Unsterbliche musste an die Stelle ihrer eigenen Kinder treten. Wenn wir Tiere wären, dachte Alia, würden wir unsere Jungen fressen.
    »Und du bereust nichts?«, fragte sie.
    Leropa sah sie verächtlich an. »Hast du nicht zugehört? Es gibt nichts zu bereuen. Lieber allein sein, als verlassen zu werden. Kein Wunder, dass die dort draußen von der Zeit niedergedrückt werden! Diese Entscheidung wirst du bald für dich selbst treffen müssen, Alia. Ein Kind zu bekommen bedeutet, die Tür zum Tod zu öffnen, denn es bedeutet die Auflösung des Ichs.«
    Wie kalt, dachte

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