Transzendenz
unser privater Raum von Überwachungstechnologie gesättigt sein würde; jedes Wort und jede Geste würden überwacht, aufgezeichnet und analysiert werden. Seltsam, wie man in solchen Situationen anfängt, wie ein Verbrecher zu denken.
Jedenfalls verließen sie uns. Und zum ersten Mal seit Morags Rückkehr war ich mit ihr allein.
Wir lagen nebeneinander auf Feldbetten in unserem Zimmer und hielten uns an der Hand. Während wir nach den sich überschlagenden Ereignissen allmählich zur Ruhe kamen, hatte ich Zeit für Gedanken und Gefühle. Und ich begann zaghaft, mich mit der Möglichkeit auseinander zu setzen, dass all dies real sein könnte.
»Ich möchte wissen, was die von mir halten«, sagte sie. »Ich sollte nicht nur tot sein, was schon schlimm genug ist. Ich sollte auch siebzehn Jahre älter sein, als ich bin. Wahrscheinlich jage ich ihnen eine Heidenangst ein.«
»Vielleicht denken sie, du wärst ein Klon«, sagte ich. »Es gibt einfachere Erklärungen als…«
»Als die Wahrheit?« Sie drehte sich auf die Seite und sah mich an; die rotblonden Haare fielen ihr übers Gesicht. »Und was ist mit dir? Jagt die Wahrheit dir auch eine Heidenangst ein, Michael?«
»Welche Wahrheit?«
Sie hatte keine Antwort.
»Ich weiß nicht, was ich empfinde«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, als wachte ich auf. Verstehst du? Als käme es mir gerade erst zu Bewusstsein.«
»Ich weiß. Was soll ich sagen? Es wird seine Zeit brauchen.« Ihre Stimme hatte jenen leichten, schwungvollen Rhythmus, der ein Erbe ihrer Kindheit war, ihr Ton genau den richtigen Anflug von Humor. Sie war genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte, und nicht nur das; sie brachte auch Erinnerungen an Dinge zurück, die ich vergessen hatte, Dinge an ihr, die einmal so kostbar gewesen waren.
Siebzehn Jahre lang hatte ich mir alles aufgehoben, was ich ihr so gern gesagt hätte, etwa was meine Gefühle anbelangte, nachdem ich geglaubt hatte, die Chance dazu endgültig verloren zu haben. Doch als sie dort neben mir lag, spielte all dies irgendwie keine Rolle mehr. Es war, als hätten die dazwischen liegenden siebzehn Jahre nicht existiert. Ich wurde zur Aktualität ihres Todes zurückversetzt, zu meinen Gefühlen in jenen ersten Tagen und Wochen, und die Wunde war noch genauso offen wie damals. Auf emotionaler Ebene ergab es keinen Sinn. Aber schließlich ergab die ganze Situation, in der wir uns befanden, keinen Sinn. Mein Herz war nicht für so etwas programmiert, dachte ich.
Morag beobachtete mich. »Du hast eine Menge durchgemacht«, sagte sie.
Das brachte mich zum Lachen. »Ich habe eine Menge durchgemacht… Weißt du, ich glaube, die Tests der Ärzte haben bewirkt, dass es für mich realer ist. Ich meine, Geister haben keine DNA, oder?«
»Ich bin kein Geist«, sagte sie leise.
»Okay. Aber ich glaube, du hast mich mein ganzes Leben lang heimgesucht.«
»Dein ganzes Leben lang?« Sie klang aufrichtig verwirrt.
»Seit ich ein Kind war.« Vor ihrem Tod hatte ich ihr das nie erzählt. Jetzt jedoch breitete ich die seltsame Geschichte zögernd vor ihr aus.
Sie blies die Wangen auf und stieß die Luft aus. »An jedem anderen Tag wäre das eine irre Geschichte.«
»Erinnerst du dich an irgendetwas davon? Zum Beispiel damals am Strand, als ich neun oder zehn war…«
Stirnrunzelnd sagte sie: »Ich habe das Gefühl, als gäbe es Lücken. Ich weiß es nicht, Michael.«
Unverblümt stellte ich ihr die grundlegende Frage. »Wie bist du hierher gekommen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Warum ist es passiert? Weshalb bist du hier?«
Sie hatte nichts zu sagen.
Ich stützte mich auf einen Ellbogen und sah sie an. Nun, wo ich begonnen hatte, Fragen zu stellen, fielen mir weitere ein, als fange mein Gehirn wieder an zu arbeiten. »Weshalb bist du so alt, wie du bist?« Nach den Andeutungen des Arztes zu schließen, war sie genauso alt wie an ihrem Todestag.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es ist einfach so.«
»Und wieso hat es dich nicht aus der Fassung gebracht, als du herausgefunden hast, welches Datum wir haben – siebzehn Jahre in deiner Zukunft?« Ich rieb mir die Hängebacken. »Wieso warst du nicht entsetzt darüber, dass ich mich in den ältesten Mann im Universum verwandelt hatte?«
»Ich schien einfach zu wissen, wo ich war. Wann ich war. Wie man solche Dinge eben weiß, ohne groß darüber nachzudenken.«
»Aber das muss bedeuten, dass du irgendwie wiederhergestellt worden bist. Dass man dich auf deine Rückkehr vorbereitet
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