Transzendenz
hat.«
»Rebooted? Hast du dieses Wort gesucht?« In ihrer Stimme lag Angst, aber auch ein Anflug von Humor. »Du warst schon immer ein Technik-Freak, Michael. Glaub mir, ich wüsste es auch gern. Aber ich denke, du schleichst um die großen Fragen herum.« Sie schüttelte den Kopf. »Siebzehn Jahre, und du hast dich kein bisschen verändert.«
Sie hatte Recht. So wenige Stunden nach ihrer Reinkarnation spielte Metaphysik einfach noch keine Rolle. Ich setzte mich auf, schwang die Beine über den Rand meines Bettes und sah sie an. »Na schön, dann wollen wir mal. Von der Schwangerschaft ist keine Spur zu entdecken, stimmt’s? Auch nicht von den Wehen oder von der Geburt?«
»Das hat dieser Doktor jedenfalls gesagt.«
»Aber du erinnerst dich daran.«
Sie runzelte die Stirn. »Die Wehen haben zu früh eingesetzt. Ich hatte höllische Schmerzen. Du hast mich zusammen mit Tom in diesem Wagen ins Krankenhaus gebracht.« Ich erinnerte mich… Was für eine Fahrt das gewesen war! »Sie haben alles für einen Kaiserschnitt vorbereitet. Ich stand bis zu den Haarspitzen unter Medikamenten, aber die Schmerzen – ich wusste, dass etwas schief ging…« Auf einmal weinte sie, noch während sie sprach; ihre Schultern erbebten, und sie wischte sich zornig die Augen ab. »Verdammt, Michael, für mich ist das gerade erst passiert.«
Es zerriss mir das Herz. Ich sehnte mich danach, sie in die Arme zu nehmen, sie zu trösten. Aber eine Aufwallung von Zorn hielt mich davon ab. »Was ist zwischendurch noch passiert? Ein Tunnel aus weißem Licht, ein Kerl mit einem Bart und einem großen Buch an der Himmelspforte?«
»Ich weiß es nicht.« Sie verbarg die Augen hinter ihrem Arm, eine Geste, an die ich mich plötzlich so gut erinnerte. »Irgendwas… Ich kann es nicht sagen. Es ist nicht einmal wie eine Erinnerung. Ich wollte das alles nicht, Michael.« Dann ließ sie den Arm sinken und sah mich an. »Ebenso wenig wie ich eine Beziehung mit John wollte. Das weißt du inzwischen bestimmt.«
»Was soll ich deiner Meinung nach dabei empfinden?«
»Es ist einfach passiert. Es war niemandes Schuld. Du warst so oft weg… John und ich haben viel zusammengearbeitet. Es hat sich irgendwie ergeben. Und dann die Schwangerschaft.«
Sie habe sich gegen einen Abbruch entschieden, erklärte sie mir, obwohl das Kind eindeutig von John gewesen sei, obwohl sie gewusst habe, wie viel Schmerzen es allen bereiten würde – und obwohl die Ärzte ihr um ihrer eigenen Gesundheit willen zu einer Abtreibung geraten hatten, wie ich jetzt erfuhr –, weil sie es nicht ertragen hätte, es zu verlieren.
»Also hast du mich im Glauben gelassen, es wäre von mir.«
»Wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten, John und ich. Wir wussten nicht, was das Richtige war.«
»Hast du ihn geliebt?«
»Ja«, sagte sie tapfer. »Aber dich habe ich mehr geliebt, Michael. Immer. Ebenso wie John. Keiner von uns wollte dich verletzen. Und dann mussten wir ja auch an Tom denken. Ich hatte nie vor, dich zu verlassen, weißt du, um zu John zu gehen. Unsere Beziehung war nur eine… eine Sache, und dann saßen wir auf einmal in der Falle. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Ich erwarte kein Mitgefühl von dir, Michael, aber wir waren beide in einer verdammt üblen Verfassung.«
Es war schwer vorstellbar, dass John, mein kompetenter älterer Bruder, sich in ein solches Schlamassel hineingeritten hatte.
»Wir haben uns davor gedrückt, es dir zu sagen«, fuhr sie fort. »Wir haben beschlossen zu warten, bis das Baby da wäre – so weit man überhaupt von einem Beschluss reden kann. Sobald es geboren wäre, sobald es existierte…«
»He«, sagte ich. »Das Baby war ein Junge.«
Sie verdaute es und nickte bedächtig. »Okay. Sobald er da war, würde sich alles anders anfühlen… Weißt du noch, wie es für uns war, bevor Tom zur Welt kam, diese Angst und Hochstimmung zur selben Zeit? Aber als er dann geboren war, haben sich die Dinge irgendwie geklärt.«
»Ja, ich weiß es noch.«
»Also, wenn das neue Baby käme, wenn es wirklich da wäre, eine Person, würden wir sehen, wie es uns allen damit ging. Und dann…«
»Und dann hättest du mir erzählt, dass dieser wundervolle kleine Wonneproppen nicht von mir sei, sondern von meinem älteren Bruder?«
Zorn loderte in ihren Augen auf. »Ist das alles, woran du denkst, dass es Johns Kind war? Würdest du dich besser fühlen, wenn es von irgendeinem Fremden gewesen wäre? Du bist plötzlich so alt geworden,
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