Transzendenz
verschränkt. »Weißt du, wenn man heute einen Science-Fiction-Roman schreiben würde, wäre ich der Held.«
Das war eine so unerhörte Behauptung, dass ich lachen musste. »Wieso das denn?«
»Weil ich mich mit der real existierenden Zukunft befasse. Und Menschen helfe.«
Im Grunde befasste er sich mit Ausgleichsleistungen für Umweltschäden. Anfangs hatte er Einzelpersonen vertreten, Leute, die durch vermeidbare Giftteppiche und dergleichen ihr Zuhause oder ihre Gesundheit verloren hatten. Dann war er dazu übergegangen, gesetzgebende Körperschaften im Hinblick auf Änderungen am Steuersystem zu beraten, die solche Dinge wie umweltschädliche Brennstoffe, Wärmequellen oder Treibhausgase freisetzende Prozesse betrafen.
Es gehe einzig und allein um die Herstellung eines Gleichgewichts, sagte John; man müsse den Drang nach wirtschaftlicher Entwicklung mit der Notwendigkeit der Erhaltung einer stabilen Umwelt ausbalancieren, ebenso wie ökonomische Effizienz mit den Ausgleichsansprüchen der Betroffenen. Er hatte sogar am Konzept der »intergenerativen Gerechtigkeit« mitgearbeitet, bei dem man, statt künftige Generationen komplett zu ignorieren oder bestenfalls als Entsorger des eigenen Mülls zu behandeln, eine »Zukunftssteuer« für jede potenzielle Beeinträchtigung entrichtete, die man ihnen zufügte. John hatte sich einen gewissen Namen gemacht; zu meinem Leidwesen war er sogar ein paar Mal als Experte im Fernsehen aufgetreten, wenn es um diese Themen ging.
Seine erste Liebe war jedoch immer der Gerichtssaal gewesen, und mit über fünfzig Jahren hatte es ihn dorthin zurückgezogen – aber nun als Parteienvertreter in viel größeren Fällen. »Statt die kleine alte Dame gegen das Unternehmen zu verteidigen, das ihr Trinkwasser vergiftet, berate ich die Administration jetzt zum Beispiel bei einer umfangreichen Klage gegen China.« Während die Vereinigten Staaten in den zwanziger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts die führende Rolle im globalen Umweltschutz übernommen hatten, vergiftete China in seinem gnadenlosen Drang nach Wirtschaftswachstum bis auf den heutigen Tag weiter die Umwelt. »Und dann gibt es Umverteilungsklagen…« Es war eine Faustregel der Klimaerwärmung, dass warme Regionen zu den Verlierern, kühlere Regionen hingegen zu den Gewinnern zählten. So erlitt beispielsweise ein von der zunehmenden Trockenheit betroffener Farmer in Iowa Einbußen, während ein Farmer in Minnesota dank längerer Anbauperioden Vorteile hatte. »Die philosophische Richtschnur ist ein simpler Ausgleich«, sagte John. »Der Bursche in Minnesota nutzt sein Füllhorn, um den Kollegen in Iowa zu unterstützen. Und wenn die Dinge sich irgendwann einmal ändern, kann der Geldstrom jederzeit die Richtung wechseln. Ich glaube, die Menschen akzeptieren das; es ist offenkundig fair.« Er behauptete sogar, man könne dieses Verfahren im planetaren Maßstab durchführen – nicht durch Prozesse wie den der Vereinigten Staaten gegen China, sondern durch »planetare Verhandlungen«. Kanada, ein Gewinner, könne Indien, einem Verlierer, aus der Patsche helfen – und so weiter.
Die diversen Patronats-Organisationen versorgten John reichlich mit Arbeit. Das gesamte Patronats-Konzept beruhte darauf, dass man die Verantwortung für seine Handlungen übernahm, die wahren Kosten seiner Taten akzeptierte oder sämtliche Gewinne teilte. »Gewinnen« und »verlieren« standen natürlich immer in Anführungszeichen; in Wirklichkeit waren es schlichtweg Veränderungen, die jeden in unterschiedlichem Maße trafen.
Doch all dieser Ausgleich, das Ausbalancieren, die Besteuerungsformen und die Fairness waren nur Methoden, die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf viele Schultern zu verteilen, dachte ich; sie hatten nicht zum Ziel, diese Auswirkungen zuallererst zu reduzieren. Mir ging durch den Kopf, dass sich dahinter die engstirnige Annahme verbarg, im Großen und Ganzen würde alles genauso weitergehen wie bisher – vielleicht würde alles auseinander fallen, aber nur langsam, es würde mehr oder weniger erträglich und kontrollierbar bleiben, gelindert durch ein paar pekuniäre Zuwendungen. Aber was, wenn nicht?…
John erzählte mir etwas von einem Buch, an dem er gerade arbeitete.
»Noch mal«, sagte ich. »Ein Buch!«
Er grinste selbstgefällig. »Es geht um die Zukunft des Geldes.«
Im Grunde entwickelte er eine Idee weiter, die auf John Maynard Keynes zurückging, einen Wirtschaftswissenschaftler aus der ersten
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