Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
ist, dreht sich sein ganzes Leben darum, die Unabhängigkeit von den Eltern zu erreichen. Und in unserem Fall war unsere Beziehung seit dem Tod seiner Mutter bei der Geburt besonders gespannt. Das muss doch selbst dir klar sein.«
    »Ja, ich…«
    Man unterbricht die psychoanalytischen Maschinen der Fluggesellschaften nicht, doch ich tat es. »Aber wir brauchen einander. Wir haben nur noch uns. Toms Worte sind bloß die Oberfläche. Was zählt, sind unsere darunter liegenden Gefühle. Und wenn du keine totale Vergeudung von Speicherplatz bist, wirst du das verstehen…« Man soll die Seelenklempner-Maschinen auch nicht beleidigen. Aber ich meinte es bitterernst.
    Ich war bei Morag gewesen, als sie auf diesem grässlichen Entbindungstisch gestorben war. Und ich hatte in jenem Moment nur einen einzigen Wunsch verspürt, nämlich mit Tom zusammen zu sein; es war, als wäre ein Stahlseil in meinem Gedärm verankert worden, das mich mit ihm verband. Aber natürlich war alles sehr schnell kompliziert geworden. Tom war erst acht gewesen, zu jung, um mit seinem Kummer fertig zu werden, geschweige denn mit meinem. Und während er in den folgenden Monaten zugesehen hatte, wie ich in mir selbst versunken war, hatte sich ein kleiner Teil seiner konfusen Gefühle in Groll verwandelt. Jene schreckliche Zeit hatte unsere gesamte spätere Beziehung geprägt.
    »Dieses tief sitzende Gefühl bleibt trotz allem bestehen«, erklärte ich der Fluglinienmaschine. »Das Stahlkabel. Und ich glaube, das gilt auch für Tom, selbst wenn er es nicht zugeben will. Jede Aktion bewirkt eine gleich starke Gegenreaktion. Newtons drittes Gesetz.«
    »Wissen Sie, Mr. Poole, diese hyperakademische Bemerkung illustriert nur, was ich gesagt habe…«
    John kam an die Tür. Er lehnte sich an den Rahmen, die Hände in den Taschen, und beobachtete mich. »Ich würde das bleiben lassen«, sagte er. »Diese Herumlauferei. Der Berater kann deine Bewegungen wahrscheinlich wahrnehmen. Eine Dissonanz zwischen deiner Körperhaltung und deinen Worten verrät dich.«
    »Ich komme mir vor, als watete ich durch Baumwolle.«
    Er zuckte die Achseln. »Das ist die Welt von heute. Kaum noch Energiereserven. Voller Einschränkungen.« Er trat vor. »Lass dir von mir helfen.« Er streckte den Finger zu meinem Ohr, meinem Implantat aus.
    Ich wich unwillkürlich zurück.
    John schien ausnahmsweise einmal zu verstehen. »Was ist dir wichtiger, geschwisterliche Rivalität oder zu Tom durchzukommen? Lass mich diesmal gewinnen.«
    Ich nickte. Er berührte mein Gesicht unmittelbar vor dem Ohr, und ich verspürte einen leichten elektrischen Schlag, als seine Systeme sich an meine koppelten. Er übernahm meine Anrufe und übertrug sie mit ein paar leisen Worten seiner Firma in New York.
    Es dauerte nur etwa fünf Minuten, bis sich die Systeme seiner Firma mit einer Antwort zurückmeldeten. John, der lässig in der Zimmerecke stand, drehte sich bedauernd zu mir um. Trotz seiner Macht gelang es nicht einmal ihm, den Brei zu durchdringen, zu dem ein Sektor des globalen Kommunikationsnetzes zerschmolzen war; deshalb konnte er keine Verbindung zwischen mir und Tom herstellen. Bei den Flügen war es auch nicht viel besser gelaufen. »Keine freien Plätze bis Mitte nächster Woche.«
    »Nächste Woche? Himmelherrgott. Aber…«
    Er hob die Hand. »Ich kann dir binnen vierundzwanzig Stunden eine VR-Projektion besorgen. Ich glaube, mehr ist momentan einfach nicht drin, Michael.«
    Ich dachte darüber nach. »Okay. Wie viel?«
    »Lass mich das bezahlen.«
    »Nein«, fuhr ich reflexhaft auf.
    Er schien ein Seufzen zu unterdrücken. »Komm schon, Michael. Er ist ebenso mein Neffe wie dein Sohn. Lethe, ich kann’s mir leisten. Und du weißt nicht, wofür du dein Geld in Zukunft vielleicht noch brauchen wirst.«
    Ich gab mich zum zweiten Mal geschlagen. »Also gut«, sagte ich. »Aber John, ich weiß immer noch nicht, ob er am Leben oder tot ist. Nicht einmal das weiß ich.« Es war mir zuwider, ihn auf diese Weise um weitere Hilfe zu bitten. Aber er hatte Recht. Sollte er doch den Sieg davontragen; was spielte es schon für eine Rolle?
    Er nickte. »Ich versuche weiter, zu ihm durchzukommen. Überlass das mir.« Er ging hinaus und machte sich, leise in sein Implantat sprechend, auf den Weg zu seinem eigenen Zimmer.
     
    Es war trotz alledem erst zehn Uhr abends, zu früh, um sich schlafen zu legen. Ich ging nach unten, wo meine Mutter mit den Kindern saß. Sie sahen sich VR-Bilder einer

Weitere Kostenlose Bücher