Transzendenz
Biokraftstoff-Früchten war kaum ein Baum oder Busch zu sehen; ich erblickte mehr Robot-Traktoren als Vögel oder andere Tiere. Die Biodiversität von Ländern wie England bewegte sich schon zu meiner Teenagerzeit gegen Null und wird sich wahrscheinlich auch nicht so bald wieder erholen.
Und dann war da das Wasser.
Man sah es überall, verlassene Straßen, die nun dauerhaft überschwemmt waren und als Entwässerungsgräben oder Kanäle dienten, und künstliche Schwemmebenen, die als behelfsmäßige Wasserspeicher fungierten. Ein großer Teil von South Yorkshire war jetzt von einem neuen See bedeckt. Während wir ihn auf einem Damm durchquerten, erstreckte sich das Wasser bis zum Horizont, und die darüber hinwegrollenden Wellen hatten weiße Schaumkronen; er ähnelte einem Binnenmeer. Ich sah die Dächer verlassener Häuser, die Kronen untergegangener Bäume und die unheimlichen Formen der Kühltürme stillgelegter Kraftwerke, die über die Wasserlinie aufragten. Es war alles so neu, dass der See nicht einmal einen Namen trug – vielleicht auch, weil die Namensgebung seine Realität bekräftigt hätte. Gänse flogen flügelschlagend übers Wasser, fast in der V-Formation von Jagdbombern. Die Gänse schienen zumindest zu wissen, wohin sie wollten, und diese neue Geografie beunruhigte sie offenbar nicht.
Die Sonne ging unter, und das Wasser schimmerte; es spiegelte das Sonnenlicht in goldenen Lichtpünktchen. Zügig und lautlos glitt ich über diese versunkene Landschaft hinweg, als führen wir über das Wasser selbst, als wäre das alles ein Traum.
Bei unserer Ankunft in York wurde es bereits dunkel. Ich stellte mich bei den Rikschas draußen vor dem Bahnhof in eine Schlange und wurde bald von einer unglaublich athletischen jungen Frau durch die Außenbezirke der Stadt gefahren. Die städtischen Behörden dieser Nachverkehrsära hatten in ihrer Weisheit viele Straßen neu mit Kopfsteinen pflastern lassen. Für Kapselbusse mochte das kein Problem darstellen, aber als wir mein Hotel erreichten, fühlte sich mein Hintern wie weich geklopftes Steak an.
Das Hotel stand noch immer an seinem alten Platz. Es ist ein kleines Haus in der Nähe der A-Straße, die sich auf der Trasse einer alten Römerstraße von York Richtung Doncaster nach Süden schlängelt. Das Hotel selbst ist alt, eine Art Remise aus dem achtzehnten Jahrhundert, glaube ich. Weil es in halbwegs fußläufiger Entfernung zum Stadtzentrum liegt, ist es rentabel geblieben, während viele ähnliche Häuser dichtmachen mussten. Es ist ziemlich modern, hat aber nichts Glamouröses. Trotzdem ein freundliches Haus; die einzige Sicherheitsüberprüfung, der ich mich unterziehen musste, war ein von Interpol verifizierter DNA-Scan.
Das Zimmer, das ich bekam, war nur eine gesichtslose Schachtel mit den üblichen Einrichtungen, einer Minibar, einem Getränkespender und einem großen Softscreen, auf dem stumm geschaltete Nachrichten liefen. Ich wusste nicht mehr, welches Zimmer wir damals gehabt hatten, Morag und ich. Jedenfalls sah das Interieur so aus, als hätte es seit jenen Tagen vor fast dreißig Jahren einiges mitgemacht. Vielleicht gab es unser Zimmer nicht einmal mehr, in jedwedem Sinn.
Natürlich wusste das Personal hier rein gar nichts über mich. Ich war einfach nur jemand, der von Heathrow aus angerufen und ein Zimmer reserviert hatte, und ich hatte nicht vor, ihnen zu erzählen, weshalb ich wieder hierher gekommen war, warum ich mich so gut an das Hotel erinnerte: weil ich mit Morag zu Beginn unserer Flitterwochen hier abgestiegen war.
Ich setzte mich in den einen großen Sessel, ließ den Koffer ungeöffnet auf dem Bett liegen, und die nichts sagenden Nachrichten flimmerten über die Wand. Es war später Abend, aber für meinen Körper war es mitten am Nachmittag, Floridazeit. Ich war unruhig und verwirrt und wollte niemanden sehen, nicht einmal einen Zimmerservice-Roboter.
Weshalb war ich hier? Wegen Morag, natürlich. Ich war aus einem spontanen Impuls heraus hierher gekommen, in unser Flitterwochen-Hotel, an einen für uns beide bedeutsamen Ort. Schön. Hier war ich. Aber was sollte ich jetzt tun?
Aus einem plötzlichen Impuls heraus rief ich Shelley Magwood an.
Ich holte ihr Bild auf meinen großen Plasmabildschirm. Sie steckte mitten in der Arbeit, nahm sich aber – was ich ihr ewig hoch anrechnen würde – die Zeit, mit mir zu reden, einem verwirrten Verlierertyp in einem Hotelzimmer in England. Doch als ich dort saß, unbeholfen, mühsam
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