Transzendenz
nach Worten suchend, außerstande, das Thema anzuschneiden, das all meine Gedanken beherrschte, schien sie ein wenig in Besorgnis zu geraten. Ihr Hintergrund änderte sich; ich sah, dass sie in ein privates Büro gegangen war.
»Nun mal heraus mit der Sprache, Michael. Ich sehe doch, dass Sie was auf dem Herzen haben. Sie sind also in York, weil Sie dort Ihre Flitterwochen verbracht haben. Richtig?…«
Ich erzählte ihr von unserem Hochzeitstag. Wir hatten in Manchester geheiratet, um nah bei Morags Familie und den meisten Angehörigen meiner Mutter zu sein. Aber ihre Eltern waren beide tot, und von ihren Geschwistern kam nur eines. Meine Mutter wiederum fühlte sich unwohl; sie empfand England und ihre Vergangenheit stets als Gefängnis. Onkel George war gekommen – aber nicht die Schwester meiner Mutter, meine Tante Rosa, die ich nie kennen gelernt hatte. Trotzdem war der Tag gut verlaufen; bei Hochzeiten ist das meistens so, trotz der Familienscheiße, die sie immer umgibt.
Am Ende des Tages brachen Morag und ich nach York auf, der ersten Station unserer Hochzeitsreise. Wir wollten uns zwei Wochen lang einige historische Stätten Großbritanniens ansehen.
»Ich weiß nichts über York«, sagte Shelley vorsichtig. »Schöne Stadt?«
»Sehr alt«, sagte ich eilig. »Es war eine römische Stadt. Dann war es die Hauptstadt der nördlichen Könige, die das sächsische England eine Weile beherrscht haben. Schließlich kamen die Wikinger, und dies fiel als letztes ihrer Königreiche, als England schließlich politisch vereinigt wurde. Und dann…«
»Ich verstehe schon.«
Ich lachte gezwungen. »Ein guter Ort für eine Geisterjagd. Finden Sie nicht?«
Shelley starrte mich an. Sie kannte mich gut, aber sie hatte mich zweifellos noch nie so erregt gesehen. »Michael, es ist nichts Schlechtes, in der Vergangenheit zu graben. Wir alle tun das hin und wieder. Jedermanns Stammbaum ist heutzutage online, extrahiert aus großen Genom-Datenbanken, DNA bis zurück zu Adam, und die Menschen sind fasziniert. Wer kann schon einem Blick auf die rekonstruierten Gesichter seiner Ahnen widerstehen? Aber, na ja, man kann sich auch in der Vergangenheit verlieren. Nicht wahr?«
»Darum geht es nicht, Shell«, sagte ich ungeduldig. »Und das tue ich nicht.«
»Dann erzählen Sie’s mir doch einfach, Michael. Haben Sie da was von Geistern gesagt?«
Und ich gestand ihr, dass ich hierher gekommen war, um den Geist von Morag, meiner toten Frau, zu suchen. Es war eine Erleichterung, das alles endlich einmal auszusprechen.
Shelley hörte aufmerksam zu und beobachtete mein Gesicht. Sie stellte eine Reihe von Fragen, holte Details und Eindrücke aus mir heraus.
Als ich fertig war, sagte sie trocken: »Und da dachten Sie, ich rufe Shelley an. Vielen Dank.«
»Ich hatte nie besonders viele Freunde«, sagte ich.
»Hören Sie, ich fühle mich geehrt, dass Sie es mir erzählt haben. Ich bin die Erste, oder? Das merke ich. Und die Sache ist offensichtlich sehr wichtig.«
»So?«
»Für Sie jedenfalls.«
»Für mich. Sie glauben also nicht, dass es real ist.«
»Ich kenne Sie schon lange, Michael, und ich hatte nie den Eindruck, dass Sie verrückt sind. Ein Arschloch vielleicht, aber bestimmt nicht verrückt. Und was weiß ich schon über Geister? Ich schätze, ich habe dieselben Filme gesehen wie Sie.«
Ich hatte mit Shelley noch nie über das Übernatürliche gesprochen; sie war nüchtern und praktisch und stand mit beiden Beinen in einer Welt, die sie messen und manipulieren konnte. Wenn es um fremdartige Dinge ging, war sie mit den hypothetischen außerirdischen Erbauern der Kuiper-Anomalie im Allgemeinen schon vollauf bedient. »Glauben Sie irgendetwas davon?«
Sie zuckte die Achseln. »Das Universum ist ein seltsamer Ort, Michael. Und wir sehen nur ein Destillat dessen, was dort draußen ist, ein notwendiges sensorisches Konstrukt, dank dessen wir funktionieren. Nichts ist, was es scheint, nicht einmal Raum und Zeit selbst. Ist das nicht in groben Zügen die Botschaft der modernen Physik? Aber wir zapfen dieses seltsame Etwas mit unserem Higgsfeld-Antrieb an. Haben Sie es schon mal so betrachtet? Als schnitten wir mit unseren Affenfingern ein Stück von Gott ab, als benutzten wir das Absolute als Treibstoff für unsere Raketentriebwerke.«
Nein, so hatte ich es noch nie betrachtet. Aber ich merkte allmählich, dass die Eingebung, sie in meiner Verwirrung anzurufen, gut gewesen war. »Es gibt also Wirklichkeitsschichten,
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