Trapez
hinweg, aber er bewegte sich nicht. Er war jetzt hellwach, etwas beleidigt, dass Mario eine so perfekte, wunderbare Sache so schnell und geschickt verstecken konnte. Die Vernunft sagte ihm, dass es nötig war, dass Mario das einzige getan hatte, was er konnte, aber er war erst fünfzehn und dachte immer noch in Gefühlen.
Mario glitt aus dem Bett und kniete neben ihm. »Tommy…«
»Geh zurück ins Bett. Angelo könnte wieder reinkommen.«
Mario senkte seinen Kopf und kü ss te ihn auf die Schlä fe. »Ragazzo, piccino-figlio, fanciullo mio…«, flehte er.
Tommy, der nur verstand, dass es Koseworte waren, sagte schmollend: »Was?«
»Es tut mir so leid, Lucky! Oh, verdammt noch mal, wir müssen so vorsichtig sein, dass ich eine Heidenangst davor habe. Glaubst du, dass ich dir das antun wollte?«
Tommy legte seinen Kopf an Marios nackte Schulter.
»Ich wollte, ich könnte mit dir schlafen.«
»Tommy, ehrlich. Ich hab’ Angst davor. Angelo kommt so früh rein, um uns aufzuwecken. Ich will es auch, irgendwann vielleicht.« Er saß da, mit dem Arm um ihn, einige Minuten lang, drückte dann einen letzten Ku ss auf seine Wange und schlüpfte wieder in sein eige nes Bett. Und in Tommy, erfüllt von Liebesschmerz, klang immer noch ein schwaches, erschöpftes Gefühl nach, das nicht Enttäuschung, nicht Ernüchterung, sondern eine Traurigkeit war, die sogar unter den vollkom mensten Liebesbedingungen schwer zu vermeiden war.
Und unter diesen Bedingungen beinahe unvermeidlich.
KAPITEL 15
Als er aufwachte, schien die Sonne schwach und unbeständig. Mario schlief fest, mit seinem Rücken zu Tommy. Seine Decke und sein Bettlaken waren weggestram pelt, seine Pyjamahosen um seine Waden und Knöchel verrutscht, und seine Schultern, die so tief gebräunt waren, dass sie nicht nackt zu sein schienen, waren wie zum Schutz im Schlaf zusammengezogen. Tommy fiel etwas ein, das Mario einmal gesagt hatte: »Wenn du schläfst, siehst du wie ein kleines Kind aus.« Aber Mario sah im Schlaf wie ein Mann aus, viel älter, fremd, unverletzbar, ohne das jungenhafte Grinsen oder die Unsicherheit seiner wachen Persönlichkeit. So, wie Mario jetzt dalag, war es schwierig, die ferne, unverletzbare Unabhängigkeit in Einklang damit zu bringen, wie er sich an Tommy geklammert und sich selbst in den Schlaf geweint hatte. Sogar als Tommy sich ausstreckte und eine fast verschwenderische Entspannung in seinem Körper fühlte, war er etwas traurig, etwas verwirrt.
Er hörte draußen Schritte; dann hustete Angelo hinten im Wohnwagen. Es knarrte und er hörte, wie Angelo mit dem Trapezmann an der Küchentür redete. Tommy warf seine Decke zurück, schlüpfte in Hose und Schuhe und traf Angelo in der Küche. Sie ließen Mario und Papa Tony im Wohnwagen schlafen und gingen über den sumpfigen Platz, um die Trapeze zu überprüfen.
Angelo sah schläfrig aus. Er war noch unrasiert. Er hatte einen starken Bart und empfindliche Haut, und um zu vermeiden, sich zweimal am Tag rasieren zu müssen, rasierte er sich erst direkt vor der Nachmittagsvorstellung. Es war eine Gewohnheit, die nicht zu dem Wert der Santellis pa ss te, den sie auf makelloses Äußeres legten, und führte bei Papa Tony zu regelmäßigen Wutausbrü chen, obwohl er, wenn er sich wieder beruhigt hatte, ihren Sinn einsah. Aber Angelo pfiff leise und fröhlich, als sie das schlammige Feld überquerten. Die Handlanger stellten schon das Manegenrund auf und fluchten über den Schlamm.
Tommy fragte: »Guter Film gestern Abend ?«
Angelo grinste ihn schläfrig an. »Junge, ich will dir mal was sagen. Wenn du mit ‘nem Mädchen ins Kino gehst und hinterher sagen kannst, ob der Film gut oder schlecht war, mu ss t du unter zwölf, über siebzig oder stockschwul sein.«
Tommy lachte gezwungen. »Das merke ich mir.«
Dann hatten sie zu tun, beaufsichtigten das Aufstellen der Endstangen, überprüften die Spannung der Seile und Drähte, achteten auf die Millionen von Details, die keinem Außenstehenden überlassen werden konnten, weil nicht nur der Erfolg der Vorstellung, sondern ihr Leben von der perfekten Sicherheit jeder Schraube und jeder Klammer abhing. Als sie zurück zum Wohnwagen kamen, hatte Mario Kaffee fertig, und Papa Tony hatte eine Bäckerei im Ort entdeckt und eine Tüte frischer Brötchen mitgebracht. Tommy zog seine schlammigen Stiefel aus und rutschte auf einen Sitz.
»Hey«, sagte er, »alle Arbeiter haben davon geredet.
Weißt du, dass letzte Nacht ganz in der Nähe
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