Trapez
auftreten willst, versuch besser den Fang noch mal«, sagte ihm Angelo und schickte ihn hinauf auf die Plattform.
Nach dem Training hielt Papa Tony ihn am Fuß des Trapezes auf. »Sieh mal, figlio, glaubst du nicht, du bist lange genug mit Matt böse gewesen? Er hat mir erzählt, wie er deine Hand verletzt hat. Glaubst du, er hat es mit Absicht gemacht? Kennst du uns nicht gut genug, um zu wissen, dass keiner von uns so was tun würde? Nein, mai – niemals – in hundert Jahren nicht! Jetzt komm, bloß kleine Kinder schmollen so lange – werde ein bi ss chen erwachsen, ja? Geh wie ein Mann zu ihm. Gib ihm die Hand. Gib ihm eine Gelegenheit zu sagen, dass es ihm leid tut, dass er dich verletzt hat. Seid wieder Freunde, okay? Wie ihr’s wart, Brüder. Es gefällt mir nicht, dich und Matt so zu sehen, ihr habt euch immer so gut verstanden. Ich will, dass ihr beide so seid, wie ihr wart. Tust du das für mich, Tommy? Hm?«
Tommy schluckte schwer. »Sicher«, sagte er schließlich , »ich sag’s ihm.« Er lief schnell zum Wohnwagen, wo sich Mario niedergeschlagen umzog.
Er sagte stotternd zu Marios abgewandtem Rücken:
»Papa Tony hat gesagt, er will nicht, dass wir weiter schmollen. Er sagt, er will, da ss …« – plötzlich wu ss te er, dass er weinen würde –, »er will, dass wir so sind wie immer. Willst du es auch?«
»O Gott!« Plötzlich völlig unbedacht, wirbelte Mario herum und fing Tommy in einer wilden Umarmung. »O
Gott, ob ich will! Ob ich will, Kleiner!«
Nachmittags, während der Pause zwischen den Vorstellungen, sahen die Älteren ihnen zu, wie sie zusammen hinter dem Wohnwagen arbeiteten, nasse Trikots aufhängten, lachten und sich wie gewöhnlich neckten und untergehakt auf den Rummelplatz gingen, um etwas Kaltes zu trinken. Papa Tony strahlte zustimmend; aber Angelo runzelte darüber merkwürdig berührt die Stirn.
Noch nichts so Greifbares wie ein Verdacht – nur eine Ahnung, dass der Streit und die Versöhnung intensiver waren, als sie hätten sein sollen.
Es war schwieriger denn je, auch nur einen Moment allein zu sein und zweimal, verrückt vor Verlangen nacheinander, nahmen sie das schreckliche Risiko auf sich, das sie, hatten sie sich geschworen, nie eingehen wollten.
Einmal war Mario sehr spät im Dunkeln zu Tommy ins Bett gekrochen und lag neben ihm. Er hielt die ganze Zeit eine warnende Hand vor Tommys Mund, nicht um ihn zuzuhalten, sondern um jeden verräterischen Laut zu vermeiden. Da schien es Tommy, als er seine Lippen zusammenpresste , um sogar lautes Atmen zu vermeiden, dass sie nicht tiefer hätten sinken können. Aber das stimmte nicht.
Verzweifelt nach einem gemeinsamen Augenblick suchend, umarmten sie sich ein paar Tage später ein paar Minuten lang hinter der verschlossenen Tür einer schmutzigen Tankstellentoilette. Mario sah hinterher so kraftlos aus, so hundeelend, dass sogar Tommy, der normalerwei se immer einen Weg fand, ihn aufzuheitern, nichts einfiel; da war nur der dumpfe Schmerz, das Elend. Sie fuhren hinten auf einem der offenen Zirkuswagen mit; und als sie wieder nach oben kletterten, brach Mario in wütende, bittere Selbstanklage aus.
»Schmutzige Jungs«, schrie er in den rauschenden Wind auf den Highway hinaus, »die in schmutzigen Ecken schmutzige Spielchen spielen – Du solltest mich dafür hassen, dass ich dich in diese Hölle mit reingezogen habe! Wenn ich nur einen Funken Anstand hätte…«
Tommy versuchte nicht, ihm zu widersprechen. Er drückte nur Marios Hand mit hilfloser, schmerzvoller Liebe. Denn diese fürchterlichen Zwischenspiele verringerten nur die Spannung in seinem Körper; sie änderten nichts an der schlimmeren und schmerzvolleren Spannung, die wie eine geballte Faust unter seiner Brust lag, die für ihn fast wie ein Schmerz in seinem Herzen war.
In der Nacht tat er das, was er nie zuvor gewagt hatte.
Das einzige, was Mario ihm besonders und in so vielen Worten verboten hatte. Wenn Mario seine eigenen Regeln für sie beide verletzte, brauchte er sie auch nicht blind zu befolgen. Als der Wohnwagen dunkel war und Papa Tony leise im Hinterzimmer schnarchte, kroch er neben Mario ins Bett. Mario flüsterte wütend: »Bist du verrückt?«
»Mario… nein, hör mir zu, bitte… bitte. Es ist okay. Wir müssen nicht… ich meine, ich will bloß … la ss mich nur… la ss mich hier nur ein paar Minuten liegen. Bitte! Wir regen uns so über… über all den anderen Kram auf, haben nie Zeit, um… um… oh, Gott verdammt, ich
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