Trapez

Stadt?«
    »Nein, meine Dame«, sagte Little Ann höflich. »Wir sind vom Zirkus.«
    »Wirklich? Seid ihr Teil des Programms?«
    »Ja, wir sind beide in verschiedenen Nummern.«
    »Ach, wie interessant!« Die Frau zog sich widerwillig zurück, um nach ihren eigenen Maschinen zu sehen und versicherte ihnen, dass sie während der Vorstellung nach ihnen Ausschau halten würde.
    Tommy flüsterte: »Diese verdammten Provinznester.
    Guck mal, sie glotzt immer noch.«
    »Es ist mein blödes Haar«, sagte Little Ann schmollend. Ihr Haar war, wie sich Tommy erinnerte, vor ein paar Jahren noch ziemlich mausbraun gewesen, aber als sie zu dem Akt kam, hatte Margot wie selbstverständlich angefangen, es zu bleiche n, bis es platinblond war. »Als ich letztes Jahr in der Oberschule war, hättest du sie hören sollen. Anständige Mädchen bleichen ihr Haar nicht, und all so was; aber viele von ihnen haben auch damit angefangen. Mutter sagt, dadurch sehen die Leute mich an. Das stimmt sicher.«
    »La ss sie gucken. Ich finde, es ist hübsch.« Tommy dachte plötzlich an Stella und fragte sich, ob ihr Haar von Natur aus blond war oder ob sie es auch bleichte. »Da drüben ist ein Getränkeautomat. Willst du eine Brause?«
    Sie tranken aus den Flaschen und hörten der klatschenden Wäsche in den Maschinen zu. Tommy fragte sich, worüber er sich Sorgen gemacht hatte. Dies schien völlig natürlich zu sein, wie in alten Zeiten.
    »Hat dir Kalifornien gefallen, Tommy?«
    »Ja, es war schön. Es war nur komisch, dass überall Palmen standen und es nicht mal Weihnachten Schnee gab.«
    »Mutter hat mal gesagt, das Lucia Santelli wahrscheinlich der beste weibliche Flieger der Welt war. Gehört sie zu derselben Familie? Hast du sie kennengelernt?«
    »Sicher, sie ist Marios Mutter«, sagte Tommy.
    »Ich hab’ gehört, sie hat sich das Rückgrat gebrochen?
    Ist sie schlimm verkrüppelt?«
    »Nein, man merkt es kaum. Sie bewegt sich nur manchmal langsam, das ist alles. Sie hat Marios Bruder Johnny in seinem Akt geholfen.« Sie fingen an, über die Santellis zu reden, als sie die Sachen in die Trockner stopften.
    »Pa ss auf, dass du nicht die Trikots reintust«, warnte Tommy. »Sie sind aus Wolle und laufen ein.«
    »In der Vertikalseilnummer gibt’s ein Mädchen, das seidene Trikots trägt, wie eine Balletttänzerin . Sie sagt, von Wolle bekommt sie Ausschlag. Ich glaube, dass sie bloß ihre Beine zeigen will«, sagte Little Ann.
    »Ich glaube, viele Leute bekommen von Wolle Ausschlag«, sagte Tommy. »Marios Schwester, Liss, trägt seidene Trikots, aber sie war ‘ne Zeitlang eine Tänzerin.«
    »Sie ist jetzt nicht in der Nummer?«
    »Nein, sie hat geheiratet und hat ein Baby«, antwortete Tommy.
    »Aber das hat meine Mutter auch und deine«, widersprach Little Arm.
    »Aber ihr Mann ist nicht in der Show«, sagte Tommy.
    »Ich finde, dass Zirkusleute nur Zirkusleute heiraten sollten.«
    »Na ja, das tun sie wohl auch meistens.« Tommy wollte nicht darüber diskutieren. »Hör zu, Angelo hat gesagt, ich könnte Sonntag das Auto bekommen. Wenn es einen guten Film gibt, willst du mitkommen?«
    »Gerne«, sagte Little Arm. Und dann mi ss trauisch: »Hat dir meine Mutter gesagt, dass du mich fragen sollst?«
    »Ach was, warum sollte sie so was tun?«
    »Weil ich ihr gerade vor ein paar Tagen gesagt hab’, dass wir uns nie mehr sehen, und ausgerechnet jetzt fragst du mich, und ich habe es nicht nötig, dass meine Mutter für mich Verabredungen einfädelt!«
    »Keiner hat was eingefädelt. Angelo hat mich ausgeschimpft, weil er sagte, dass die anderen Kinder in der Show behaupten, ich sei arrogant, und dann hat er gesagt, ich könnte das Auto haben, wenn ich wollte, um mit jemandem auszugehen.«
    »Okay, dann komme ich gern mit, außer wenn es ein Western ist – ich mag Western nicht. Sieh mal, der Trockner hat aufgehört. Soll ich dir helfen, die Wäsche zusammenzulegen?«
     
    Sonntagabend , gerade als es anfing, dunkel zu werden, rief Tommy nach Litt le Ann vor ihrem Wohnwagen. Das blasse, ruhige Licht auf dem Platz, der am Sonntag geschlossen war, war ihm unangenehm. Er war an das strahlende Licht der Vorstellungen gewöhnt. Und bis ans Ende seines Lebens betrübte und ängstigte ihn Dunkelheit in einer Weise, die er nicht in Worte fassen konnte.
    Little Ann trug ein rosa Kleid mit leuchtenden, weißen Rüschen am Hals und weiße Sandalen mit Keilabsätzen.
    Er hielt ihr zum ersten Mal die Autotür auf.
    »Du siehst süß aus, Little Ann.