Trapez
heraus, das er ungezählt in Tommys gehöhlte Hände warf.
»Halt irgendwo unterwegs und bring mir ein Paar schwarze Schnürbänder mit, okay?«
»Ja! Sonst noch was?«
»Ich glaub’ nicht. Behaltet den Rest und kauft euch was zu trinken.«
Tommy wickelte die Wäsche in ein Hemd. Little Ann rümpfte schnüffelnd ihre Nase. »Was riecht denn da so gut? Wie Nelken?«
»Haarfestiger, Glyzerin.« Mario hielt die kleine Dose hoch. »Meine Mutter macht es für uns; das Zeug, das man kaufen kann, ist immer so fettig.« Er setzte sie ab.
»Ann, wer ist die Neue in der Vertikalseilnummer? Die am letzten Seil, die mit dem langen Haar?«
»Ihr Name ist Sue-Lynn. Sie ist irgendwo von der Ostküste. Ich hab’ ihren Nachnamen vergessen. Farris oder Farley oder so was. Wieso?«
»Sie erinnert mich an jemanden, den ich kannte, das ist alles«, sagte Mario.
Tommy wu ss te, was er meinte; als er das schlanke, dunkelhaarige Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte, dachte er ungläubig; Liss? Dann war sie vom Seil heruntergekommen, und er hatte sie von nahem gesehen. Es war nicht Liss; die Augen waren nicht blau, sondern dunkelbraun, ihr Mund war breiter und sinnlicher, mit etwas schiefen Zähnen, aber sie war wie Liss, und irgendetwas in der Bewegung ihres schlanken, knabenhaften Körpers erinnerte ihn unbestimmt an die Art, in der sich Liss Santelli bewegte. Sogar Angelo hatte es erwähnt: »Matt, hast du schon das Mädchen aus der Vertikalseilnummer gesehen, die wie Liss aussieht?«
»Vielleicht ist sie jemand, die du mal kanntest«, sagte Little Arm fast kokett. »Sie hat gefragt, wer der gutaussehende, dunkelhaarige Mann im Trapezakt ist, und sie hat gefragt, ob du ‘ne Freundin hast.«
Mario war verärgert, aber er war höflich. »Kuppeln? In deinem Alter, Ann?«
»Nein. Sie hat gesagt, sie hätt’ ein paar Jahre in einem Trapezakt gearbeitet und hätte gesehen, dass in eurem Akt kein Mädchen sei und sich bloß gefragt, ob ihr eins braucht, falls ihr Interesse habt.«
Mario sagte: »Ich hab’ mir gedacht, dass sie ziemlich professionell für eine Luftnummer aussieht.«
»Also, ihr habt Interesse?« stichelte Little Ann.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Du bist gemein«, sagte Little Arm kichernd. »Der bestaussehendste Mann in der Show, und du hast keine feste Freundin oder so was.«
Mario verzog sein Gesicht zu einer absichtlich komischen Grimasse und frotzelte: » Weißt du denn nicht, dass ich darauf warte, dass du erwachsen wirst, Schätzchen?«
»Ach, du«, kicherte Little Ann und wurde knallrot.
Tommy hob di e zusammengebundene Wäsche hoch und sagte barsch: »Bringen wir das jetzt in die Stadt oder willst du hierbleiben und mit Mario quatschen?«
»Ich will hierbleiben…« und plötzlich bemerkte Little Ann, dass Tommy keinen Spaß machte. »Sicher, ich bin soweit. Gehen wir.« Sie öffnete die Tür, damit Tommy das Bündel mit der Wäsche hindurchmanövrieren konnte.
Als sie es auf den Rücksitz des Wagens der Santellis legten, sagte sie: »Bist du eifersüchtig oder was? Kann ich nicht mal mit Mario rumalbern, wenn ich will? Er ist fast alt genug, mein Vater zu sein!«
»Ach, Quatsch! Es ist mir egal, mit wem du rumalberst.
Und es stimmt gar nicht; er ist erst dreiundzwanzig, das ist alles.« Er stieg ein, drehte das Fenster wegen der stickigen Hitze herunter und fuhr rückwärts hinaus. Er war mürrisch und wu ss te nicht, warum. Zu sehen, wie Mario mit Little Ann flirtete – denn das war’s, was sie getan hatten, und er wu ss te es – war ihm irgendwie zutiefst unangenehm.
»Oh, gut«, sagte Little Ann, als sie auf den Kiesparkplatz vor dem Schild WASCHSALON einbogen, »es ist einer von den neuen mit automatischen Waschmaschinen und Trocknern. Das macht Spaß .«
Zwei stämmige Frauen in Hauskleidern glotzten, als die beiden Jugendlichen hereinkamen. Tommy beachtete sie nicht, er war es gewöhnt, angestarrt zu werden.
»La ss mich helfen, Tommy.«
»Okay, wenn du willst. Die Handtücher kommen in eine Maschine und die Übungsklamotten in die andere.
Und die Kostüme müssen allein in einer anderen Maschine gewaschen werden, weil sie ausfärben. Und stell das Wasser auf kalt, nicht auf heiß .«
Little Ann kicherte wieder. »Hey, ich sollte dir das alles sagen, ich bin das Mädchen!«
Sie arbeiteten schweigend und füllten die Maschinen.
Eine der Frauen, die sie neugierig anstarrten, fragte: »Ihr jungen Leute seid neu hier, ja? Gehört ihr zu den Leuten von den Ölfeldern am Rande der
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