Trapez
du in diesem Jahr nicht hier?« fragte Ma Leighty. »Ich hab’ dich gerade da hingebracht, dass du weißt , wo alles ist, und dieses Jahr bist du in der Show und zu erwachsen, um noch in der Garderobe zu arbeiten?«
»Ach was, das ist es nicht, Ma«, sagte Tommy verlegen. »Ich hab’ bloß zu viel zu tun, das ist alles. Ich muss mich um die Fliegerkostüme kümmern und all das.«
Little Ann kicherte. »Das geht immer hin und her, was Tommy? Das älteste Kind in der Parade macht immer die Kostümdurchsicht, und jetzt bist du in dem Trapezakt, und da muss der Jüngste die unangenehme Arbeit machen!«
Ma Leighty lachte auch. »So kann er, wenn er alt und dick wird, der Show immer noch was nützen.«
»Flieger werden nie dick«, sagte Little Ann. »Alt vielleicht, aber nicht dick. Sieh dir Papa Tony an. Er muss siebzig sein.« Sie legte ihre getippte Liste auf den Tisch.
»Ich bin hier fertig, Ma. Beim letzten Matschwetter ist alles durcheinander gekommen, aber ich glaub’, das war’s.« Sie sprang vom Wagen herunter. Tommy gleich nach ihr.
Er fragte: »Hast du die Schnallen an deinen Schuhen reparieren lassen?« In diesem Jahr trat Little Ann in einem ›Goldenen Wirbel‹ auf. Ein drehendes Trapez, an dem sie an den Fü ss en rundherum schwang. Es war ein einfacher Trick und überhaupt nicht gefährlich, weil die Schuhe der Artisten an die Trapezstange angeschnallt waren. Aber bei der letzten Vorstellung saßen Anns Schuhe so fest, dass sie sich peinlich abmühen mu ss te, am Ende der Nummer loszukommen und schließlich hatte einer der Trapezleute hinaufklettern, die Schuhe abschnallen und sie herunterholen müssen.
»Ja, Mutter hat sie Angelo gegeben, um sie nachzusehen. Sie sind jetzt okay; ich hab’ sie heute Morgen ausprobiert.« Sie gingen die Gassen entlang, die nach und nach in dem leeren Maisfeld Gestalt annahmen, wo die Handlanger Buden aufbauten. Little Ann nahm ihre Sonnenbrille heraus und setzte sie auf.
»Tommy, kommt man mit Papa Tony so schwer aus, wie man sagt?«
»Oh, nein, er ist streng und sorgt dafür, dass du die ganze Zeit auf dich aufpa ss t, aber Hunde, die bellen, beißen nicht. Mich hat er jedenfalls noch nicht gebissen.«
Little Ann kicherte und wurde dann ernst. »Hör mal, hast du was von deinem Dad gehört? Wird er wieder gesund?«
»Ich glaub’ schon«, sagte Tommy. »Sein Auge hat sich bloß entzündet, und eine Zeitlang hatten sie Angst, dass er es verlieren würde. Sie probieren jetzt etwas Neues aus –irgendein Wundermittel.«
»Wenn ich dein Vater wäre, würde ich nie wieder in die Nähe eines Käfigs gehen.«
»Ich auch nicht. Aber Dad denkt wohl nicht so. Ihm wäre fast mal der halbe Arm abgebissen worden, als ich vier Jahre alt war, aber er macht sich nie Sorgen darüber.
Und weißt du noch, als du deinen Arm gebrochen hattest, in dem Jahr, als du in der Vertikalseilnummer warst?
Drei Tage nachdem sie den Gips abgenommen hatten, warst du wieder am Seil. Ann, ich muss was in die Wäscherei bringen – willst du mitfahren und mir Gesellschaft leisten?«
»Ich will nur Mutter Bescheid sagen.«
Sie rannte weg. Als sie zurückkam, hatte sie schnell ihre Locken ausgekämmt und war in ein blaues Schürzenkleid geschlüpft. »Mutter sagt ja, wenn du vorsichtig fährst.«
Sie gingen an den Wohnwagen entlang zu dem der Santellis. Jeder Wohnwagen hatte seine angewiesene Position, so dass sie, wo sie auch spielten und welche Form der Platz auch hatte, immer sechs ›Türen‹ auseinander waren und jeder jeden Abend dieselben Nachbarn hatte.
Er klopfte an die Wohnwagentür.
»Jemand da?«
»Komm rein«, sagte Mario gereizt von innen. »Was ist los mit dir, Tom?«
»Hast du was an? Ich hab’ jemanden dabei.«
»Kleinen Moment…« Dann, gedämpft durch eine geschlossene Tür. »Okay, komm rein.«
Der enge mittlere Raum war leer. Tommy rief: »Ich wollte die Wäsche abholen.«
»Soll ich mitkommen? Ich hab’, glaube ich, Zeit.«
»Nein, ich hab’ Little Ann gefragt, ob sie mitfahren will.«
Mario kam heraus und knöpfte sein Hemd zu. Er war barfuß , sein Haar war na ss und zerzaust. Er sagte »Hallo!«
zu Little Ann, und Tommy dachte, als er sah, wie ihr Gesicht sich veränderte: Ich wette, die Hälfte der Mädchen in der Show sind verrückt nach Mario – das ist mir noch nie aufgefallen. »Mario, hast du Kleingeld für die Wäscherei? Wenn sie Maschinen haben, brauche ich ein paar Zehner.«
Mario kramte in seiner Tasche und holte eine Handvoll Kleingeld
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