Trapez
war Geschäftsführer für den alten Luciano Starr – Lucky haben sie ihn genannt – , und als ich ungefähr sechzehn war, habe ich die Show besucht und mich sozusagen in ihn verliebt.«
»Du hättest sie sehen sollen«, sagte Lionel Fortunati.
»Ein kleines Etwas – nicht halb so groß wie du, Elissa –, sie spazierte auf dem Platz herum, wollte alles ausprobieren, und alles, was sie probierte, konnte sie gut. Ein geborener Luftakrobat. Seilhang, Luftballett, Balanceakte, sogar die alte Zahnhangnummer.«
Cleo nickte. »Und als die Show auf Tournee ging, am 1. Mai, bin ich mitgegangen. Mutter war sicher, dass ich geradewegs für Feuer und Schwefel bestimmt war, aber ich war sechzehn, und Daddy sagte, dass ich dürfte, und das war’s. Ma hat sich nie damit abgefunden, obwohl ich ihr, als der Zirkus in Abilene spielte, den Wagen gezeigt habe, wo die Mädchen schliefen – drei in einem Etagenbett, und wir mu ss ten uns, sogar wenn wir mit unseren eigenen Vätern den Platz verließen , anund abmelden –so hat sie nicht mehr länger geglaubt, dass die Show eine Art fahrendes Freudenhaus war. Jedenfalls bin ich, anstatt zur Krankenschwesternschule zu gehen, mit Starr gereist und hab’ alles gemacht: Luftballett, Seilhang – dein Bruder Joe war auch so, Angelo; er konnte bei den Akrobaten einspringen, bei der Pferdenummer mitreiten, wenn er mu ss te und sogar sein Gesicht bemalen und mit den Clowns herumspielen. Er konnte ein bi ss chen von allem.«
Angelo sagte: »Johnnys Frau Stella ist ein bi ss chen so, glaube ich. Hat alles gemacht und kann alles.«
»Ich hab’ nicht gewu ss t, dass du verheiratet bist, Johnny.
Ist sie bei euch?«
Johnny räusperte sich. »Ihr geht es nicht gut. Sie hatte eine… Fehlgeburt im letzten Herbst. Aber sie kann fast alles: Akrobatik, Einzeltrapez, Doppeltrapez, mit den Fü ss en jonglieren, Fliegen. Sie ist immer eingesprungen, bei ›Frères und Stratton‹, wenn jemand krank war oder einen Tag frei haben wollte.«
»Ich würde sie gerne kennenlernen«, sagte Cleo.
»Nun, wenn dies klappt, wird sie mit uns reisen«, sagte Johnny. »Sie ist ein besserer Flieger, als es Liss je war.«
»Also, hör mal, John …« protestierte Angelo scharf.
Durch die gespannte Stille hindurch sagte Liss hastig:
»Cleo, du wolltest uns über Barney Parrish erzählen.«
»O ja. Gegen Ende der Saison ist Lucia gekommen, um mich im großen Umkleidezelt zu besuchen. Du mu ss t wissen, dass sie die Hauptattraktion bei den ›Flying Santellis‹
war, und ich nur ein Kind in meiner ersten Spielzeit. Sie reiste im eigenen Wagen und hatte ihre eigene Garderobe. Und ich war in eine Hälfte eines oberen Bettes gezwängt und hatte meinen Koffer im Frauenumkleidezelt mit zweihundert anderen Mädchen. Und als sie mich da besuchte, war ich so verblüfft, dass ich kaum mit ihr reden konnte. Sie fragte, ob ich je daran gedacht hätte, fliegen zu lernen. Sie sagte, ich hätte die Figur dazu…«
»Und meinte«, neckte sie Lionel, »da ss du gar keine hast.«
»Stimmt«, sagte Cleo mit wehmütigem Lächeln, »aber du mu ss t wissen, dass es damals modern war, flachbrüstig zu sein. Lucia sagte jedenfalls, dass sie den Winter über in Kalifornien sein würde und dass Barney im Winterquartier wäre. Sie sagte, sie würde mit ihm dar über reden, mich zu unterrichten, und sie tat es. Also verbrachte ich den Winter bei Barney und seiner Frau Eileen Leeds – sie starb ungefähr fünf Jahre danach in der Manege, aber sie war ein großer Star – und lernte fliegen.«
Tommy fragte schüchtern: »Wie war Barney Parrish?«
Er versuchte immer noch, in Einklang zu bringen, dass diese freundliche, quicklebendige, jungaussehende Frau der große Star der ›Flying Fortunatis‹ war, die Frau, deren Bild zusammen mit ihrem Mann und ihrem Bruder an seiner Schlafzimmerwand gehangen hatte, seit er ein kleiner Junge war. War Barney Parrish, die Legende der ›Big Show‹ genauso wie sie gewesen? Nur – er suchte nach einer Möglichkeit, es für sich selbst in Worte zu fassen – ein freundlicher, normaler Mann, jemand, den man kennen und mit dem man reden konnte?
»Barney? Oh, er war der netteste Mann, den es gab«, sagte Cleo bestimmt. »Irisch – ich könnte nicht einmal annähernd seinen Akzent nachmachen, und damals habe ich noch reines Texanisch gesprochen. So haben wir uns manchmal kaum verstehen können. Er und Eileen behandelten mich wie ihr eigenes Kind. Eileen steckte mir immer Schokolade zu, sagte, dass
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