Trapez
wie lange machst du das schon, Matt?«
Mario lächelte, das entspannte Lächeln schierer Erleichterung. »Ich kann es nicht jedes Mal machen. Ich habe heute bloß geglaubt, dass ich Glück habe.«
Randy Starr kam zu ihnen. Er war ein kleiner, glatzköpfiger, mondgesichtiger, jüngerer Mann, völlig ausdruckslos. »Jim, ich will Tony und den großen Jungen sehen, der den letzten Trick gemacht hat, drüben am Silberwagen«, sagte er. Er musterte sie alle nacheinander, und Tommy merkte, dass er sie sich alle einprägte. Liss’ geflochtenes Haar, Johnnys gebleichte Locken, die ausgefransten Gelenkbänder, die Angelo irgendwo anstatt des neuen Paares wiedergefunden hatte. »Alles Santellis?
Mal sehen, ob ich richtig liege.« Er bewegte einen knubbeligen Finger vor und zurück: Tony, Angelo, Mario, Gianni, Tommy, Elissa.« Er berührte kurz seine Stirn.
»Gut, das merke ich mir«, sagte er. Und Tommy wu ss te, fröstelnd vor Ergriffenheit, dass er es sich merken würde, dass er, wenn er irgendeinen von ihnen in fünf, fünfzehn oder dreißig Jahren später treffen würde, sich an den Namen, das Gesicht und die Umstände so deutlich wie in diesem Augenblick erinnern würde.
»Lucia Santelli. Gute Fliegerin. Hat eine Doppelpirouette gemacht. Auch eine großartige Frau, große Schönheit. Macht keinen Ärger, keine Launen. Das Mädchen sieht ein bi ss chen aus wie sie. Deine Mutter, Elissa? Habe ich mir gedacht. Grüß sie von mir. Danke, Kinder, danke.
Lionel, führ doch die Kinder herum, nachdem sie sich umgezogen haben.« Das war eine klare Verabschiedung; er ging mit Papa Tony und Jim Fortunati weg, Mario trottete schüchtern hinterher.
Keiner von ihnen redete viel, während sie sich umzogen, obwohl Angelo sagte, als er sich seinen Schlips band: »Matt hat bestimmt Eindruck gemacht. Keine Frage .«
Johnny murmelte: »Aber wir bestimmt nicht. Auch keine Frage, nicht wahr?«
Aus Höflichkeit gegenüber Lionel, der sie auf dem Platz herumführte und sie einigen Berühmtheiten der
›Big Show‹ vorstellte, verzichteten sie darauf, mögliche Urteile zu diskutieren. Tommy lernte Leute kennen, die nur Namen für ihn gewesen waren; ausgeschnittene Gesichter fürs Fotoalbum. Er ahnte, dass er zu jedem anderen Zeitpunkt sehr aufgeregt darüber gewesen wäre, aber jetzt war alles, woran er denken konnte, Mario, der mit Randy Starr und Jim Fortunati redete und das Schicksal der ›Flying Santellis‹ disk utierte. Als sie zum FortunatiWagen zurückkamen, machte Cleo, jetzt schick und hübsch in Straßenkleidern , für sie Kaffee und Sandwiches. Tommy war hungrig, aber die Sandwiches schmeckten wie Sägemehl. Wie lange würden sie brauchen, um sich zu entscheiden? Alle waren unglaublich gespannt. Das Innere des Wohnwagens war mit Schnappschüssen und Bildern von Zirkusstars aus der Vergangenheit und Gegenwart vollgehängt, Liss stand auf und begann herumzuwandern.
»Tommy, sind das deine Eltern?« fragte sie.
Tommy kam zu ihr und sah auf das kleine Bild von seiner Mutter und seinem Vater, die mit dem alten Lucifer posierten. Er hatte das Bild schon früher im Album seiner Mutter gesehen; es war aufgenommen worden, bevor er geboren war. Auf diesem war etwas in der vertrauten Handschrift seiner Mutter gekritzelt: Für Cleo, alles Liebe, Tom und Beth Zane. Er bejahte, und Cleo starrte ihn an.
»Der Zane. Ich hätte es wissen müssen! Du bist das Ebenbild von Beth, das rote Haar und die Sommersprossen. Beth hat bei Starr mit Raubkatzen gearbeitet, als ich zur Show kam – eine der wirklich guten weiblichen Raubkatzendompteure. Es gab nicht so viele davon. An sich gibt es auch jetzt nicht viele. Und du bist ihr Sohn?«
Tommy sah weiter auf die Bilder, die an die Pinnwand geklebt waren. Eins fiel ihm ins Auge. »Haben Sie Barney Parrish gekannt?«
In seiner Stimme lag pure Ehrfurcht. Die Legende, der große irische Luftakrobat, der ›Fliegende Dämon‹, der als erster den Dreifachen berühmt gemacht hatte. Aber Cleo lachte sachlich. »Meine Güte, ja, er hat mir das Fliegen beigebracht.«
Liss sagte eifersüchtig: »Ich dachte, Lucia hat dir das Fliegen beigebracht?«
»Nein, Schätzchen. Aber sie hat mich ermutigt, es zu lernen«, sagte Cleo. »Ich bin in Texas aufgewachsen und hatte noch nicht einmal einen Zirkus gesehen, als ich klein war. Meine Mutter war eine altmodische, strenge Baptistin, und sie dachte, dass jede Dame, die im Zirkus ihre Beine zeigt, direkt ins Fegefeuer kommt, auf der Stelle. Aber mein Daddy
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