Trapez
haben verdammt viel zu tun vor der Abendvorstellung.«
Angelo schluckte, würgte schmerzvoll und hustete. Er sah immer noch benommen aus, aber jetzt kam das Bewusstsein wieder durch. Er nahm den Becher in seine Hand und schluckte den Rest mit einer Grimasse herunter. Seine Hände zitterten noch, aber seine Stimme war wieder fest. »In Ordnung«, sagte er hustend, »mir geht’s gut, danke Matt. Ich…« Er schluckte hart, aber er sagte: »Ich ziehe mich um. Es gibt da Abmachungen, ich halte mich besser daran.«
»O Gott«, sagte Tommy plötzlich. »Stella, niemand hat es Stella gesagt, und Johnny ist zu… mit Papa Tony gegangen.« Als er dann den erschütterten Angelo ansah, der an Marios Arm hing, wu ss te er, dass er es tun mu ss te. »Ich sag’s Stella.«
Als er über den Platz zu dem Frauenumkleidezelt ging, bemerkte er, dass die Vorstellung noch im Gange war, die Kapelle und der Applaus waren so laut wie immer.
Waren die Leute im Publikum alles Leichenfledderer?
Konnten sie so etwas mit ansehen und gleichgültig sein?
Konnten sie einer Truppe herumwirbelnder Clowns zusehen und so laut wie immer lachen?
Er fand Stella nahe dem Eingang des Frauenumkleidezeltes und hatte sogar ein Gefühl der Erleichterung, dass sie ihm die Notwendigkeit erspart hatte, mit der Aufseherin zu sprechen und sie zu bitten, Stella Gardner zu benachrichtigen. Auch wenn sie seine Frau gewesen wäre, hätte er nicht ins Frauenzelt eintreten können. Sie war eine kindliche, verletzbare, kleine Figur, ganz alleine am Eingang, mit einem alten grauen Cordmantel über ihrem Kleid, aber irgendwie war die Tatsache, dass sie die Geistesgegenwart gehabt hatte, sich ganz anzuziehen, während Johnny und Tommy bloß Hosen und Schuhe über ihre Trikots gestreift hatten, eine Stütze.
Sie lief zu ihm und ergriff fest seine Hand.
»Tommy«, flüsterte sie, »ist er in Ordnung? Was ist passiert? Ist sein Hals gebrochen? Johnny konnte nicht warten und es mir sagen. Eins der Mädchen hat mir erzählt, dass er mit dem Krankenwagen mitgefahren ist.
Was ist es?«
Es gab keine Mögli chkeit für Tommy, es abzuschwä chen, und er versuchte es gar nicht. »Er ist tot, Stel. Er war schon tot, als er ins Netz fiel.«
»O nein«, entfuhr es Stella, und sie bekreuzigte sich.
»O Gott, wie furchtbar für Angelo…«
»Es ist schlimm für ihn, Stella«, sagte Tommy, legte seine Arme um das Mädchen und hielt sie fest.
Dann richtete sich Stella schnell mit einer seltsam wachsenden, kleinen Geste auf und sagte ruhig: »Mario muss dann bei Angelo bleiben, und Johnny ist mit dem –ist mit Papa Tony mitgefahren, aber Joe und Lucia müssen Bescheid bekommen, und wir sollten ihnen sofort ein Telegramm schicken, bevor es jemand im Radio hört oder so. Oder – sieh mal, Tommy, es wäre furchtbar für Lucia bloß ein Telegramm zu kriegen. Hast du Geld? Ich ruf sie per Ferngespräch an und – und versuche, es ihr schonend beizubringen.«
Zum ersten Mal erkannte Tommy den stahlharten Kern dieses jungen Mädchens. Er griff in seine Taschen, es waren aber bloß ein paar Münzen darin.
»Nicht genug, um Kalifornien anzurufen. Versuch es per R-Gespräch, oder bitte den Bo ss um etwas Telefongeld.«
»Soll ich sonst noch jemanden anrufen?«
»Liss«, sagte Tommy. »Ich kann ihre Nummer aus Marios Adre ss buch heraussuchen. Sie wohnt in San Francisco…«
»Nein«, sagte Stella und schüttelte ihren Kopf. »Liss erwartet ein Baby, und ein Telegramm oder ein Anruf würden sie zu sehr aufregen. Ich werde es Lucia erzählen, und Lucia wird es ihr beibringen. Ich muss vom Platz heruntergehen und eine Telefonzelle finden. Nein, warte, ich wette, Woody würde mich den Telefonanschlu ss im Büro benutzen lassen.«
»Für so etwas? Immer! Willst du, dass ich mit dir komme, Stel?«
Sie schüttelte heftig ihren Kopf. »Nein, du gehst besser zurück und bleibst bei Mario und Angelo.«
Er sah sie zum Büro gehen. Sie sah wie ein Kind in dem schäbigen alten Mantel aus. Dann ging er zurück zum Männerzelt und versuchte, für das was vor ihm lag, stark zu sein.
Es war wie ein Alptraum, der immer weiterging. Da war die Stille, die schmerzvolle Neugier und das Beileid all der Männer im Zelt. Da war die Notwendigkeit für Angelo, mit der Polizei zu reden, sogar ein Papier zu unterschreiben, das eine Autopsie genehmigte, damit es offiziell bestimmt werden konnte, ob Papa Tony von den Verletzungen des Sturzes gestorben war oder durch Herzversagen oder Hitzschlag.
»Nein,
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