Trapez
einem offenen Ofen entgegen, als sie die Plattform betraten. Sogar die Musik der Kapelle schien durch die dicke, dumpfe Hitze anund abzuschwellen. Mario flüsterte: »Mein Gott«, als er seine Hände mit Kolophonium einrieb.
Als Tommy sich für seinen ersten Trick herausschwang, fühlte er, dass das Band an der Stange wieder vor Hitze klebte. Seine Hände waren klebrig und feucht, trotz der dicken Schicht Kolophonium und als sie an Johnnys Handgelenken entlangrutschten, hörte er Johnny zwischen seinen Zähnen knurren: » Schei ß geschäft «, bevor er ihn losließ . Sogar der Applaus klang eine Million Kilometer weit weg.
Um Mario zusätzlich einen Augenblick zur Vorbereitung des Dreifachen zu geben, war ihr vorletzter Trick Papa Tonys doppelter Vorwärtssalto, den einige Experten immer noch für schwieriger hielten, als den zweieinhalbfachen Rückwärtssalto. Tommy kletterte flink über das Spannseil zur Außenseite des Brettes und gab Papa Tony die Stange. Papa Tony murmelte etwas auf Italienisch , griff wieder zum Ko lophoniumbeutel, und Tommy flü sterte plötzlich: »Papa Tony, du siehst schlimm aus. Bitte nicht, nicht heute.« Seit ihrem Gespräch über dem Damebrett, hatte er angefangen, Papa Tony nicht als einen drohenden Giganten aus Autorität und Disziplin zu sehen, sondern als eine wirkliche Person wie sich selbst – mit Gefühlen und sogar Schwächen. »La ss mich statt dessen einen Übergang machen. Das wird Mario Zeit geben, um sich vorzubereiten.«
»No, no, ragazzo«, murmelte Papa Tony, »graz’ tanto …«, und Tommy hatte wirklich Angst.
»Mario«, sagte Tommy drängend, aber Mario war schon über ihnen auf der hohen Plattform, und Papa Tony hatte bereits die Stange in seinen Händen, und es gab jetzt keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten, ohne ein ungeschicktes Gerangel. Der schlanke, kerzengerade Körper, der sich immer noch wie der eines jungen Mannes bewegte, schwang sich mit der Stange hinaus und machte, zwei schnelle peitschende Saltos, dann lagen seine Hände fest um Angelos Handgelenke.
Tommy, der sie beide zusammen schwingen sah, fing das Trapez auf dem Rückschwung und machte sich fertig für Marios Ruf, es Papa Tony für die Rückkehr wieder zuzuwerfen und hörte Mario über ihm flüstern: »Gott sei Dank, es ist in Ordnung, Tom. Eins, zwei…!«
Dann sah Tommy langsam, schrecklich langsam wie in Zeitlupe wie die verschränkten Hände und Handgelenke aneinander entlangrutschten, sich lösten, wegglitten. Auf Angelos Gesicht stand die blanke Angst, als Papa Tony losließ und seinen Händen entglitt. Er fiel wie ein Stein, ohne sich zu drehen oder abzurollen, kam noch aufrecht auf das Netz auf, seine Knie knickten ein, als er aufkam, er fiel auf sein Gesicht und lag regungslos im Netz.
Tommy hörte, wie das Publikum erschrocken aufseufzte . Der Ansager, der schon die Eröffnungsworte für Marios Salto mortale herausdröhnte, wechselte plötzlich in ein schnelles Geschwätz über die Flieger in der Nebenmanege. Auch die Musik der Kapelle wechselte in den ›March of the Toys‹ – das Woods-Wayland-Signal für Manegenalarm –, und als Ablenkungsmanöver scho ss eine Gruppe von Akrobatikclowns auf die Hippodrombahn und stellte sich vor der Hauptmanege auf.
Tommy handelte fast ohne bewu ss ten Gedanken. Er ließ das Trapez fallen, ließ es lose an der mittleren Stange schwingen und rutschte dann am äußeren Seil der Strickleiter herunter und schwang seine Beine hinüber ins Netz.
Mario rutschte hinter ihm her. Er sagte mit hastiger, gepre ss ter Stimme: »Können wir ihn runterbekommen oder müssen wir das Netz herunterlassen? Gut, dass du so viel Grips hattest, nicht ins Netz abzuspringen. Wenn er hier mit gebrochenem Hals liegt…« Mario hörte auf, als Johnny und Angelo vom anderen Ende des Trapezes herbeigelaufen kamen.
Johnny sagte: »Hier, hebt mich rauf«, aber schon war die ausgebildete Krankenschwester, die mit der Show reiste, neben dem Netz. Sie sagte leise und schnell: »Nein, lassen Sie ihn liegen – wenn sein Rückgrat oder Genick verletzt sein sollte, könnten Sie es schlimmer machen.
Heben Sie mich rauf, Mr. Santelli.«
Angelo schien wie benebelt zu sein. Er beachtete die Krankenschwester nicht und sagte: »Er muss ohnmächtig geworden sein. Er hing bloß da wie tot, und ich konnte ihn nicht halten. Und er ist einfach gefallen.«
Mario stellte sich hinter die Krankenschwester, legte seine Hände um ihre Taille und hob sie mühelos auf das Netz. Sie wankte
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