Trapez
grauenhaften Anblick von Papa Tonys Körper im Netz aufgenommen und war rechtzeitig für eine Schlagzeile zu seiner Zeitung gerannt: ZIRKUSSTAR STÜRZT ZU TODE AUS DEN HÄNDEN SEINES SOHNES. Jemand hatte unbedacht eine Ausgabe mit ins Zelt gebracht.
Aber Angelo sagte fest: »Nein, ich bin in Ordnung. Ich werde auftreten.«
Jung wie er war, wu ss te Tommy, dass nach einer Zirkustragödie immer ein gewisser Teil des Publikums wieder auftauchte, um den Akt anzustarren, den das Unglück gepackt hatte. Ein Teil der Tradition war, der Neugier entgegenzutreten, indem sie genauso wie sonst auftraten und sich nichts anmerken ließen .
»Schau, Angelo, ich weiß wie ihr alten Hasen seid, aber ich weiß nicht, ob ich verrückt bin, euch aufs Trapez zu schicken, damit ihr angeglotzt werdet. Auch wenn nur ein paar Leichenfledderer kämen, um euch anzustarren. La ss mich die Santellis bloß für diesen einen Abend absagen!«
Johnny und Mario sahen sich an und stellten sich ein bi ss chen näher zusammen hinter Angelo. Mit ausgestreckter Hand zogen sie Tommy in ihren Kreis und Johnny sagte: »Zum Teufel damit.«
In Marios Stimme schwang Arroganz mit. »Es ist nett von dir, Woody, aber das ist alles, was wir für Papa Tony tun können. Verstehst du das nicht?« Und Angelo hob seinen Kopf mit blinzelnden Augen und stand plötzlich auf, als wenn er durch eine innere Reserve von Stolz und Tradition aufrecht gehalten würde. Tommy konnte beinahe hören wie Papa Tony in der Nacht, als Angelo in der Manege verletzt worden war, gesagt hatte: Die Santellis sind immer bereit.
Die Hitze hüllte die Stadt immer noch ein und stieg stickig vom Boden auf, aber es rührte sich eine leichte kühle Brise, als sie auf den Bühneneingang zugingen. Als sie im Scheinwerferlicht durch die Manege schritten, gingen Mario und Angelo nebeneinander, und ihre Capes schwangen im Rhythmus. Sie trennten sich am Fuß der Leiter, als ob das der gewöhnliche Ablauf ihres Akts wäre. Mit einem Fuß auf der Leiter schien es Tommy, dass er immer noch die Verwirrung in James Woods Gesicht sehen konnte, und ein eigenartig trostloser Stolz umgab ihn durch die kranke Leere in seiner Brust. Als er die Plattform erreichte und sich herumdrehte, um für Mario Platz zu machen, bemerkte er, wie er sich bewegte, um auch einen Platz für Papa Tony neben sich freizuhalten. Und er schauderte. Er berührte die kleine Medaille, die an seinem Hemdkragen festgesteckt war, ohne wirklich zu wissen, dass er es tat.
Wegen des Todesfalles hinter den Kulissen, der einen Bruch in der Routine zwischen den Vorstellungen verursacht hatte, hatte James Woods die Parole für eine ›schnelle Show‹ ausgegeben. Jeder Akt beschränkte sich auf das Wesentliche. Die Show würde nur zweieinviertel Stunden dauern, anstatt der normalen drei. Der Dreifache war abgesagt worden – Mario hatte eingewilligt –, und als er den Auftritt mit dein Zweieinhalbfachen beendete, sah Tommy – als er Angelo genau beobachtete – für den Bruchteil einer Sekunde Panik auf seinem Gesicht, als Mario in seine Hände gewirbelt kam. Ihre Handgelenke fielen aneinander und rutschten etwas, bevor sie wieder zufa ss ten. Später, als sie sich umzogen, sah er auf Marios Handgelenken ein gleichmäßiges Paar dunkler, blauer Flecke. Mario sah die Richtung seines Blicks, sagte aber nichts.
Die gnadenlose Geschwindigkeit des Abbaus machte nicht vor Tod oder Tragödie halt. Die Abendvorstellung war gegen halb elf vorbei, und gegen Mitternacht war der Zirkuszug bereit loszufah ren. Bevor er in seinen eigenen Wagen ging, ging Johnny in das Abteil, das Angelo mit seinem Vater geteilt hatte – Stella konnte natürlich nicht, auch nicht in Begleitung ihres Ehemanns, den Schlafwagen, der für ledige Männer reserviert war, betreten – und fragte: »Gibt es hier irgendwas, was ich tun kann?«
Angelo schüttelte seinen Kopf. Sein Gesicht sah betäubt und verschwollen aus. Er saß auf der unteren Koje des Abteils, und Mario und Tommy auf dem Koffer, der beinahe den Rest ausfüllte. »Nein, es ist wohl für alles gesorgt. Du weißt ja, dass das hier ein ziemlich gefühlloser Laden ist. Ich weiß noch wie wir Joe und Lucia in der Nacht im Krankenhaus lassen mu ss ten und noch nicht einmal sicher waren, ob Lu lebte oder tot war. Sogar Liss konnte nicht bleiben. Und alles, was wir jetzt tun können, ist, Papa Tony in einem fremden Bestattungsinstitut zu lassen, wo niemand außer einem fremden Priester dafür sorgt, dass er anständig
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