Trapez
erhellte sein Gesicht. Er klopfte Tommy auf die Schulter und sagte:
»Ich dachte, dass es vielleicht so wäre. Weißt du, ich war immer glücklich. Hab’ die Arbeit getan, die ich tun wollte. Ich rede zu viel – sieh mal, was mit meinem Stein passiert ist.« Als Tommy sich vorbeugte und seinen letzten Stein übersprang, fügte er hinzu: »Bei Dame bist du zu gut für mich geworden, Tommy. Ich glaub’, vielleicht sollte ich dir doch beibringen, wie man Schach spielt.
Dich schulen, vorauszudenken und die Leute nicht wissen zu lassen, was du tust. « Er grinste, steckte die Dame steine in seine Tasche, öffnete das Fach an der Seite des Brettes und begann, die Schachfiguren aufzustellen.
»Bei Schach darfst du nie deinen König verlieren, dies ist der König«, fing er an und Tommy runzelte die Stirn und wandte seine Aufmerksamkeit dem Spiel zu. Er wu ss te, dass der alte Mann etwas sehr Wichtiges sagte, ohne es überhaupt auszusprechen.
KAPITEL 24
Der Zirkus Woods-Wayland kam an einem dunstigen, schwülen Nachmittag mitten im August in Cincinnati an.
Die Morgensonne auf der straffen Zeltwand machte die Kuppel des Zeltes zu einem kochenden Inferno. Papa Tony, auf der Spitze des Trapezes neben Tommy, überprüfte die Ausrichtung der Stangen mit einer Wasserwaage und wischte sich sein Gesicht mit einem Taschentuch ab.
»Seltsam, nicht wahr, kaltes Wetter verlangsamt den Körper, aber solche Hitze auch.« Er steckte das Taschentuch wieder hinter seinen Gürtel. »Tommy, das Band auf der Trapezstange ist klebrig. Nimm es ab und la ss es neu umwickeln.«
Tommy tat, was ihm gesagt wurde und flitzte die Seile wie ein Affe hinunter. Er gab das Band einem Helfer. Als er mit der neuumwickelten Stange wieder hinaufkletterte, bemerkte er, dass Papa Tony immer noch bewegungslos auf der Plattform saß .
»Papa Tony, stimmt was nicht?«
»Nein, die Hitze… Come un forno.« Der alte Mann tupfte wieder seine Stirn ab, und Tommy konnte seinen Kummer an der Sprache ablesen. Papa Tony wu ss te, da ss Tommy nicht gut italienisch verstand und achtete immer darauf, englisch mit ihm zu sprechen.
»Und heute Nachmittag wird es schlimmer sein. Einmal hat Rico, an einem Tag wie diesem, als wir bei Starr waren, ein Thermometer mit ins Fangtrapez genommen, und es dort aufgehängt und am Ende der Nummer zeigte es fünfundfünfzig Grad an. Ich mache mir Sorgen über die Kristallisierung im Metall, wenn es so heiß ist wie jetzt. Als Joe und Lucia ihren Sturz hatten, war das, weil ein Metallring an ihrem Trapezspannseil kristallisiert war.«
Jetzt hatte Tommy wirklich Angst. Für Papa Tony war das Reden über Unfälle nahe dem Trapez ein unverletzbares Tabu. Es war sein einziger Aberglaube. »Papa Tony, ich fürchte, dir geht es nicht gut. Kann ich dir runterhelfen ?«
»Wenn ich Hilfe brauche, eine Leiter hinunterzuklettern , ragazzo, kannst du mich wegholen und mich für den Totengräber bereitmachen«, sagte Papa Tony bitter und sein Schnurrbart sträubte sich. Er wischte sich wieder Stirn und Hände. »Macht nichts. Ich weiß , dass du es gut meinst, Junge. Ich werde runtergehen und mir was Kaltes zu trinken holen.« Er erhob sich, balancierte wie für einen Kopfsprung und sprang sauber ins Netz ab.
Aber Tommy war noch nicht beruhigt. Im Küchenhaus trieb er Angelo auf und sagte: »Hör zu, kannst du Papa Tony dazu überreden, heute Nachmittag unten zu bleiben?
Heute Morgen auf dem Trapez dachte ich, dass er ohnmächtig wird.«
Angelo lachte. »Du hattest einen Ohnmachtsanfall, und wir haben dich gleich wieder raufgeschickt.«
»Ich weiß , aber es ist fürchterlich heiß .« Angelo war noch nicht oben gewesen und hatte weder den beklommenen Gesichtsausdruck des alten Mannes ge sehen, noch das Luftschnappen in der mörderischen Hitze der Zeltkuppel gehört. Angelo sah Tommy an und erkannte, wie beunruhigt er war.
»Ich werd’s versuchen, Junge, aber du kennst Papa.«
Als Tommy im Umkleidezelt zu ihnen kam, sah Angelo grimmig aus und Papa Tonys starres Gesicht und sein heller, ernster Blick hielten ihn ruhig. Er wandte sich ab und zwängte sich in sein schwarzes Trikot für den Akrobatenakt, der die Show eröffnete.
Mit dem Trapezakt begann die zweite Hälfte der Show.
Als sie nach der Pause hinaufkletterten, war die Zeltkuppel, die unter der Augustsonne stundenlang geschmort hatte und noch weiter aufgeheizt worden war durch den aufsteigenden Atem aus dem dichtgedrängten Zuschauerraum, die Hölle. Tommy schlug es wie aus
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