Trapez
Erfolgs, der teuren Kleider, war sie immer noch Stella, seine Stella, als ob sie zwei fremde Kinder in einer seltsamen, wunderlichen Familie waren. Er nahm sie fest in den Arm mit dem Gefühl einer echten Heimkehr.
Am langen Familientisch waren noch viele leere Plätze, aber Lucia sagte mit Befriedigung, als sie zu Joe am anderen Ende sah, dass es genauso wie früher wäre.
»Letztes Jahr war schrecklich«, sagte sie. »Johnny konnte nicht aus New York weg, und Angelo mu ss te in New Mexico drehen, und wir haben nicht einmal gewu ss t, wo Matt war oder Tommy.«
Tommy wunderte sich über Lucia Gardner. Mario hatte ihm einmal erzählt, dass sie, obwohl ihre Ehe nur knapp sieben dürftige Jahre gedauert hatte, es niemals in Betracht gezogen hatte, wieder zu heiraten. Papa Tony hatte einmal gesagt: Unsere Familie fri ss t Leute bei lebendigem Leibe. Sie hatte Lucia gefressen. Zumindest hatte sie sie einer eigenen Familie vorgezogen. Tommy dachte sachlich, dass er eigentlich das gleiche getan hatte: Er hatte sich aus freien Stücken dazu entschlossen, zu einer fremden Familie zurückzukommen und keine eigene zu gründen. Joe schenkte am Kopf des Tisches Wein ein.
Die Welt mochte sich ändern, aber die Santellis blieben dieselben.
Lucia fragte: »Was wirst du in diesem Sommer tun, Johnny? Gehst du zurück zu Starr?«
»Das hat keine Zukunft mehr. Der Zirkus, wie wir ihn kennen, ist tot, Lucia.«
»Das glaube ich nicht«, protestierte sie.
»Spielt keine Rolle, ob du es glaubst oder nicht. Es ist wahr. Es gibt Starr, und es gibt acht oder zehn kleine fahrende Shows, die sich am Arsch der Welt herumtreiben, und das ist’s. Wer möchte schon einen ganzen Zirkus auf Schienen mit sich herumschleppen? Wenn jeder Zoo und jeder Entertainer der Welt per Knopfdruck zu jedem ins Haus kommt. Der Film hat das Varieté umgebracht, und das Fernsehen wird den Film – und den Zirkus – ein für alle Mal aus der Welt schaffen.«
»Fernsehen?« Sie sah ihn ungläubig an.
»Im Fernsehen liegt die Zukunft der Unterhaltung, Lucia.«
»Nein«, protestierte sie, »wer will schon zu Hause sitzen und eine kleine Kiste angucken, wenn sie mit ihrer ganzen Familie ausgehen können? Fernsehen, das ist bloß so eine Mode. Ich will keins im Haus haben!«
»Warte es nur ab, Lu. In zehn Jahren wird jede Familie einen Fernseher haben, genau wie sie jetzt ein Auto und ein Radio haben.«
»O sicher«, spottete Angelo, »sie haben auch vor zehn Jahren gesagt, dass der Helikopter den Familienwagen ersetzen würde. dass einer auf jedem Dach parken würde.
Lucia protestierte: »Du kannst mir nicht erzählen, dass der Tag kommen wird, an dem niemand mehr daran Interesse hat, das Einmalige, das Außergewöhnliche zu sehen. Dinge, die sonst niemand tun kann…«
»Das habe ich nicht gesagt. Die altmodischen Sachen sind es, die gehen müssen. Starr hat schon das Zelt aufgegeben oder habt ihr es nicht gehört? Sie spielen jetzt bloß noch in großen Arenen wie Madison Square Garden. Auf dem Land spielen noch ein paar Zelt-Shows, aber die werden es nicht lange aushalten. Wie viele Shows sind jetzt in Billboard aufgeführt?« Er wartete nicht auf ihre Antwort. »Und vor zwanzig Jahren gab es über hundert.
Siehst du? Die Vorstellung der Leute über Unterhaltung, die verändert sich, aber man wird immer Interesse an Akrobaten haben. Je bequemer das Leben der Leute wird, desto mehr bekommen sie Interesse an spektakulären Sachen, und das Fernsehen ist wie geschaffen dafür.«
Mario sagte gutgelaunt: »Dann bin ich ja vielleicht doch nicht arbeitslos.«
»Ach was, du wirst bloß im Fernsehen arbeiten. Ich hab’ einen Vertrag für e ine weitere Zirkus-Show irgend wann in diesem Frühling – dieselben Leute, die auch das Geld für ›Zirkus bei Tag und bei Nacht‹ bereitgestellt hatten. Wie wär’s Matt, bist du bereit zum Fliegen zurückzukommen?«
»Vorausgesetzt, dass wir einen Fänger kriegen können«, sagte Mario. Johnny nickte.
»Kein Problem, ich besorge dir einen, oder ich arbeite selbst mit euch. Du warst mal ziemlich aufsehenerregend .«
Mario lächelte gutwillig. »Was macht das für einen Unterschied? Auf einem dieser Fernsehschirme – wie groß sind die? Dreißig Zentimeter im Durchmesser? – Wie, zum Teufel, kann man die Feinheiten beim Fliegen sehen, wenn der Flieger vielleicht nur fünf, sechs Zentimeter groß ist?«
»Ja, aber denk bloß mal, auf der anderen Seite sehen dir vielleicht zwei, drei Millionen Leute zu, und weißt
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