Trapez
– , denen Tommys ungeübte Augen nicht folgen konnten. Tommy stand auf einer Seite, so dass er nicht störte, und sah mit unerklärlicher Eifersucht zu.
Die Schüler drängten sich um Mario, heischten nach Aufmerksamkeit, wie Tommy es nie gewagt hatte, nannten ihn »Matt« oder »Mr. Gardner«, mehr oder weniger zufällig. Ein elfoder zwölfjähriger Junge, klein, schlank und erstaunlich kräftig, schien der Klassenkasper und Liebling zu sein. Er posierte immer, warf die Beine unglaublich hoch, drehte sich wirbelnd. Er hatte einen schwarzgelockten Wuschelkopf, war anmutig, fröhlich und herausfordernd, u nd seine strahlenden Augen ver folgten Mario mit offensichtlicher Bewunderung überall hin. Er war Mittelpunkt jeder Gruppe, und nach einer Vorführung stürzte er zu Mario und redete schnell und atemlos mit ihm. Tommy verstand nicht, was er sagte, aber Mario legte dem Jungen seine Hand ins Kreuz und stützte ihn leicht, als er sich weiter und weiter nach hinten bog. Plötzlich spannte sich der Junge wie eine Spiralfeder und machte einen schnellen sauberen Rückwärtssalto. Mario lächelte, als das Kind auf die Füße kam.
»Nicht schlecht, Eric. Siehst du, du kannst das allei n – du brauchst eigentlich meine Hilfe nicht.«
Dann neigte er den Kopf, sah Tommy in die Augen, und plötzlich verschwand Tommys unbegründete Eifersucht. Mario war mit diesen Kindern sanft und vertraut, während er mit Tommy rau , ungeduldig und fordernd war. Aber Tommy erkannte jetzt, dass dieser Unterschied das größte Kompliment war, das Mario ihm machen konnte. Sie waren Partner. Beide Profis. Und Mario, der jede Schwäche verspottete, verlangte das Äußerste , was Tommy geben konnte.
Später fuhren sie einen malerischen Highway entlang, der einen Blick auf das Meer freigab. Sie verbrachten Stunden an einem sandigen, verlassenen Strandstreifen.
Es war zum Schwimmen zu kalt, und Tommy hatte ein bi ss chen Angst vor der heftigen Brandung. Trotzdem gingen sie für ein paar Augenblicke ins Wasser, und Tommy vergaß nie seine unglaubliche Überraschung, als das Seewasser auf seinen Lippen tatsächlich nach Salz schmeckte. Auf dem Sand, im Windschatten der Felsen, war es warm und geschützt. Sie lagen nackt bis auf die Badehosen da, und To mmy hatte das sonderbare Empfin den, auf der Oberfläche einer trudelnden Welt gewiegt zu werden. Er war so tief i n das anund abschwellende Don nern der Brandung versunken, dass jeder klare Gedanke verscheucht wurde. Benommen von der Sonne und dein Sand, ließ er sich voll zufriedenem Wohlbehagen in einen Traum entführen, unergründlicher als Schlaf. Tommys ausgestreckter Ellbogen berührte leicht Marios Schulter.
Seinen Körper durchströmte eine wohlige Wärme, ein Gefühl der Glückseligkeit, so vollkommen, dass es sich jeglicher Erklärung entzog. Es berührte ihn fast schmerzlich, als die Ausläufer der Flut sie schließlich erreichten und kalt über ihre Zehen spülten. Mario drehte sich rum und sagte schläfrig: »Wir gehen jetzt wohl besser.«
Die Sonne stand riesig und rot am Horizont, das Meer sah aus, als ob es brannte. Schweigend hoben sie ihre Handtücher auf und gingen zurück zum Auto. Tommy drehte sich um, um einen kurzen Blick auf den orange-goldenen Schein zu werfen, wo Himmel, Sand und Meer in lodernden Flammen zusammentrafen, und prägte es sich ein. Das werde ich nie vergessen, sagte er sich ungestüm. Niemals! Er vergaß es wirklich nie.
Als sie sich abmühten, in ihre klammen, kalten Hosen zu steigen, war alle Farbe vom Himmel gewichen und hinterließ nur ein blasses Rot am Horizont.
Als Mario den Wagen anließ und ihn von der Strandstra ß e wegsteuerte, seufzte er: »Ich wollte – verdammt, ich wollte, du sähest ein paar Jahre älter aus, Tommy.«
Tommy zwinkerte mit den Augen, um wach zu werden.
Es war heute das erste Mal , dass ihm ihr Altersunterschied bewu ss t wurde. Er fragte sich jetzt, ob diese Bemerkung einen von Marios abrupten Stimmungswechseln einleitete, bei denen er stets gereizt, genervt und hektisch wurde, Tommy zurück in die Kindheit schickte und sich in das Leben zurückzog, an dem Tommy keinen Anteil hatte.
Aber diesmal geschah es nicht. Mario wandte sich vom Steuer ab und lächelte ihn an. »Ich hab’ n icht gemeint… ich bin bloß gerade in der Stimmung, in einem meiner Lieblingslokale zu essen. Und ich würd’ dich gern mitnehmen, aber du bist – wie alt? Vierzehn, nicht wahr?«
»In ein paar Wochen werde ich fünfzehn. Das weißt du
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