Trapez
Platz. Habt ihr – Gütiger Himmel, Tommy, du hast einen schrecklichen Sonnenbrand!« Sie stand von ihrem Stuhl auf, und Tommy bemerkte zum ersten Mal seit er im Haus war, dass nicht alle ihre Bewegungen anmutig waren. Ein Zögern und eine Ungelenkigkeit, die wie Schmerz aussahen.
»Ich hol’ dir was dafür.«
»Oh, es ist schon gut. Mach dir keine Umstände…«
»Du kommst jetzt mit. Keine Widerworte!« Sie führte ihn in die Küche und beschmierte sein Gesicht mit etwas, das sich kühl und brennend anfühlte.
»Du wirst dich zwei Wochen lang pellen. Ist es auch auf deinen Schultern?«
Sie zog sein Hemd herunter. »Na, hab’ ich’s mir doch gedacht. Hoffentlich hat Matt Grips genug, was auf seinen zu tun.«
»Ich glaub’, er war schon ziemlich braun.« Durch Tommys Erinnerung blitzte ein Bild von Marios nackten Schultern, zigeunerbraun gebrannt, das Meerwasser lag darauf wie Perlen.
Lucia verschlo ss die Flasche wieder. »Zieh dein Hemd nicht über die Salbe an. Ich hab’ drei Söhne, die alle älter sind als du, Tommy – ich hab’ schon vorher nackte Kinder gesehen. Wenn ich du wäre, würde ich heute ohne meine Pyjamajacke schlafen. Und nimm das mit rauf, falls du es für deine Beine oder deinen Po brauchst.
Willst du was essen? Sandwich? Milch?«
»Ach ja, Milch. Abendessen hatten wir schon.«
»Habt euch wahrscheinlich mit Mist vollgestopft«, schimpfte Lucia und gab ihm ein Glas Milch. »Wirklich, Matt sollte das besser wissen. Dich mit so einem Sonnenbrand nach Hause zu bringen. Kein Wunder, dass er sich nicht reintraute.«
Großmutter kam mit ihren unsicheren Schritten durch die Küchentür und beobachtete, wie Tommy seine Milch trank.
»Und warum ist Matt nicht gekommen? Es ist so ungerecht – er und Elissa sind immer zusammen, und der arme kleine Johnny, er ist wie ein Waisenkind, seit du Marco weggeschickt hast. E s ist nie richtig, Zwillinge zu trennen –che il Dio ha fatto due.. . und Elissa ist zu viel bei den Jungen, ein Wildfang…«
»Nonna, Liebes«, sagte Lucia sanft, »es ist nicht Johnny, und Liss ist jetzt erwachsen und hat selbst ein Baby.«
»Elissa…« die alte Dame runzelte die Stirn und sagte etwas auf Italienisch , dem Tommy diesmal nicht folgen konnte.
Anscheinend wanderte sie wieder durch die Zeit, denn er schnappte die Worte sempre und cosi, come tu stressa, Lucia! auf.
Lucia seufzte ungeduldig.
»Ja, Nonna, Liebling, du hast es mir gesagt«, sagte sie leise, »aber Elissa ist jetzt sehr glücklich mit ihrem Mann und ihrem Baby. Und Lucia auch. Bitte, cara, geh ins Bett.«
Lucia legte eine Hand auf das alte, knorrige Handgelenk, aber die alte Lady zog es weg. »Nein, Carla«, sagte sie bitter. »Ich sag’ dir – non m ’inganni –dafür ist Lucia zu sehr wie ich. Ich sage dir, das Kind ist unglücklich.
Unglücklich, hier bei mir zu bleiben und sich ums Baby zu kümmern, während ihr Herz da draußen bei den anderen ist. Zu deiner und meiner Zeit war das anders. Die Mädchen waren einen Monat nach ihren Babys wieder bei der Arbeit und haben solange gearbeitet wie sie konnten, bis zum nächsten. Aber dieser Matthew, dieser Mann von ihr. Er ist ein americano, er versteht es nicht.
Sowie er davon weiß , hat er nur Angst um sie, und er besteht wieder darauf …«
»Hör auf«, rief Lucia. »Hör auf, halt’s Maul – halt’s Maul und la ss mich allein! Hol dich der Teufel, alte Hexe!«
Tommy schluckte. Er hatte nie gehört, dass einer der alten Dame widersproc hen hätte. Nie gehört, wie sich Lucias sanfte Stimme erhoben hatte. Sie fuhr Tommy in plötzlicher Wut an. »Raus!« flüsterte sie durch ihre Zähne. »Raus hier! Geh nach oben! La ss mich das machen!«
Dann löste sie mit Anstrengung ihre Fäuste und atmete tief ein. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Es tut mir leid. Ich bin müde«, sagte sie, »und manchmal geht es mir auf die Nerven.« Und obwohl ihr Lächeln freundlich war, sah er die Schmerzspuren, die wieder ihr Gesicht zeichneten. Als er sich umdrehte, um zu gehen, sah er, wie sie den Arm der alten Frau, die völlig durcheinander war, nahm und sie vorsichtig aus dem Zimmer führte, und er bewunderte ihre Beherrschung. Er ging langsam durch das schlafende Haus die Treppen hinauf, und als er die Tür hinter sich schlo ss und versuchte, sich den Tag ins Gedächtnis zurückzurufen, erinnerte er sich nur an einen verlöschenden Feuerstreifen am Ende des Meeres, an einen verb lassenden Traum und an die hoff nungslose Wehmut
Weitere Kostenlose Bücher