Trau dich endlich!: Roman (German Edition)
glaubst du wohl, wie ich mich dabei gefühlt habe? Hm?«
Sharon sprang auf. »Was glaubst du wohl, warum ich es nicht gewagt habe, mich dir anzuvertrauen?«
Er starrte sie ungläubig an. »Was zum Teufel willst du damit sagen?«
Sie straffte die Schultern und zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen. »Na, dass du jedes Mal, wenn es um die Geschichte mit Tony ging, ausgewichen bist. Du hast gesagt, du wolltest nichts darüber hören.«
»Weil ich dich nicht mit der Erinnerung daran quälen wollte!«, rief er. Seine Augen blitzten verärgert auf.
»Aber gesagt hast du etwas ganz anderes – nämlich, dass es dich nicht interessiert.« Sharon stiegen Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie weg. »Als würde es dich anekeln. Als würde ich dich anekeln …« Ihre Stimme versagte ihr den Dienst.
»Mich anekeln?« Er baute sich vor ihr auf, hob ihr Kinn an und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Wie wohl? Du warst immer so distanziert, so zurückhaltend, wenn wir uns geküsst haben! Kein Funken Leidenschaft oder Erregung – als würdest du mich überhaupt nicht mehr begehren ! Jedenfalls nicht so, wie ich es mir gewünscht habe«, rief sie aufgebracht.
Sie konnte selbst nicht fassen, was sie da sagte. Waren diese Worte wirklich gerade aus ihrem Mund gekommen? Offenbar hatten sie sich einen Weg aus den Tiefen ihres Herzens gebahnt. Sie hatte diese Gefühle bislang nicht einmal sich selbst eingestehen können. Weil sie Angst hatte.
Angst, dass sie Richard verlieren würde, wenn sie sie äußerte.
Im selben Moment wurde ihr klar, dass sie ihn womöglich bereits verloren hatte. Was hatte sie in diesem Fall noch groß zu verlieren?
Alles und nichts, dachte sie.
Derek hatte die letzten Jahre allein gelebt und war es nicht gewöhnt, sich um andere Sorgen zu machen. Er hatte sicher sein können, dass sich Marlene aufopfernd um Holly kümmerte, und auch sein Vater konnte weiß Gott auf sich selbst aufpassen. Doch seit er sein Leben mit zwei Frauen teilte, dachte er an nichts anderes als an sie. Wenigstens war Holly bei seinem Vater und Onkel Thomas sicher untergebracht.
Aber wo zum Teufel blieb Gabrielle?
Er sah auf die Uhr. »Schon fast Zeit fürs Abendessen«, murmelte er. Er hatte versucht, sie am Handy zu erreichen, doch sein Anruf war gleich auf die Mailbox weitergeleitet worden. Also hatte er ihr eine Nachricht hinterlassen.
Gabrielle hatte gesagt, sie würde Sharon nach Hause fahren und danach gleich zu ihm kommen. Die Fahrt von Boston nach Stewart dauerte etwa dreißig Minuten, bei starkem Verkehrsaufkommen eine Stunde. Sharon zu Hause abzuliefern und ein paar Worte mit ihren Eltern zu wechseln, würde eine weitere halbe Stunde in Anspruch nehmen, und dann waren es noch einmal fünf Minuten bis zu ihm.
Alles in allem also eindreiviertel Stunden, maximal zwei. Doch ihr Anruf war schon drei Stunden her. Er hatte in der Zwischenzeit alles arrangiert, hatte seine Tochter bei Hank untergebracht, um Gabrielle bei sich aufnehmen zu können.
Also, wo zum Geier steckte Gabrielle?
Bürgermeisterin Mary Perkins’ Büro befand sich in einem viktorianischen Herrenhaus an der Grenze zwischen Stewart und Perkins. Es war taubenblau gestrichen, und Fenster und Türen waren, wie so oft in Neuengland, weiß umrahmt.
Gabrielle stellte ihr Auto davor ab, schnappte sich ihre Handtasche und ihren Laptop und erklomm die Treppe zur Veranda. Das Fliegengitter war geschlossen, doch jemand hatte mit Tesafilm einen Zettel daran befestigt. Bin bald zurück. Geh schon mal rein. M. stand dort. Die Schrift sah nach einer altmodischen, viel benutzten Schreibmaschine aus.
Da die Eingangstür unversperrt war, befolgte Gabrielle die Anweisung, obwohl die Nachricht nicht ihr gelten konnte.
»Hallo?«, rief sie vorsichtshalber, als sie die verlassene Vorhalle betrat.
Keine Antwort.
Hinter dem Empfangstresen stand ein mit Papieren übersäter Schreibtisch. Gabrielle schlenderte hierhin und dorthin, spähte in diverse Konferenzräume. Auch diese waren leer.
Am Ende eines langen Korridors befand sich eine schwere, geschlossene Doppeltür. Man musste nicht erst das daran befestigte Schild lesen, um zu wissen, was sich dahinter befand: das Büro der Bürgermeisterin.
Gabrielle biss sich auf die Innenseite der Wange und klopfte an.
Stille.
Sie drückte die Klinke
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