Trauerweiden
Ehrmann nahm sie dankbar, nestelte ein Feuerzeug aus der Hosentasche und brauchte mehrere Anläufe, um die Zigarette zu entzünden. Schließlich blies er Rauch aus, der sich in der kalten Herbstluft sofort kräuselte. Sein Blick folgte dem Rauch, und er wirkte sehr verloren. »Haben Sie jemand, der sich um Sie kümmern kann?«, fragte Heiko. Ehrmann nickte. »Meine Eltern. Eine Schwester. Und meine Schwiegereltern in spe.«
»Okay. Dann lassen wir Sie jetzt fürs Erste in Ruhe.«
Auf dem Weg über den Festplatz drehten sich Heikos Gedanken unablässig um die junge Frau. »Und? Was denkst du?«, fragte er schließlich.
»Also, der Freund scheint ja ehrlich schockiert zu sein. Entweder ist er ein hervorragender Schauspieler oder er hat nichts mit dem Mord zu tun.« Heiko wiegte den Kopf. »Jessica Waldmüller war eine hübsche Frau. Da kann durchaus eine Beziehungstat im Busch sein.«
Lisa winkte ab. »Genauso wahrscheinlich ist irgendeine Eifersüchtelei unter den Damen des Majorettenvereins«, meinte sie.
»Und der junge Mann hat ja gesagt, sie hätte öfters bei der Post geparkt? Da musste sie auf jeden Fall über den Jagstbrückensteg, den soll sich der Uwe mal anschauen.«
Für Lisa hatte dieser Steg eine ganz besondere Bedeutung. Denn dort hatte sie sich gegen ihren Ex und für Heiko entschieden. Stefan war damals extra hergefahren und hatte sie tagelang umworben. Aber sie hatte ihn abblitzen lassen, und es war die richtige Entscheidung gewesen. Sie war glücklich mit Heiko, sehr glücklich. Auch, wenn er mit Komplimenten und ähnlichem Süßholzraspeln nur sehr sparsam umging. Aber das war ja auch nicht unbedingt elementar wichtig für eine Beziehung.
Obwohl. In dem Punkt konnte man tatsächlich noch an ihm arbeiten.
Heiko zückte sein Handy. Kurze Zeit später sagte er: »Du, Uwe, der Freund meint, die habe immer bei der Post geparkt. Könnt ihr euch da mal umschauen? Vielleicht am Jagstbrückensteg? – Ja, ja. – Schaut auch nach dem Auto, gell. – Nein, keine Ahnung. – Was? – Ja, machen wir. – Ach ja, und die vom Revier sollen bitte auch den Eltern Bescheid geben … ja, ja, also tschüss.« Als nächstes wählte Heiko Simons Nummer. Der ging dran, und im Hintergrund hörte Heiko Bierzeltmusik. »Ja?«
»Komm aufs Revier, Simon, es gibt Arbeit.« Heiko ignorierte, dass Simon trotz seiner Bereitschaft im Bierzelt war – immerhin war Volksfest und sie alle nur Menschen – und gab ihm die Instruktion, schon erste Informationen über das Mordopfer zu sammeln.
Eine Stunde später trafen sich die drei Kriminalbeamten auf dem Revier.
Simon Steinle war Kriminalobermeister und damit der Laufbursche, was ihn ziemlich nervte. Noch zwei Jahre, und dann wäre er automatisch Kriminalkommissar, weil alle Kriminalobermeister mit Beendigung ihres 40. Lebensjahres automatisch befördert wurden. Aber bis dahin war Simon eben Kriminalobermeister. Schwäbischer Kriminalobermeister, und damit ein Immigrant in Hohenlohe. Als Schwabe war er hier allenfalls geduldet.
Aber Heiko schätzte ihn, auch wenn er versucht hatte, mit Lisa anzubandeln. War ihm ja nicht zu verdenken, denn Lisa war schon gut. Wichtig war, dass er, Heiko, die Frau gekriegt hatte, und Simon schien langsam drüber weg zu sein.
Lisa und Heiko saßen einigermaßen verstört wirkend auf ihren bequemen bordeauxfarbenen Drehstühlen. Simon, der auf dem ledernen Gästestuhl saß, wirkte leicht angetrunken, hatte sich aber noch im Griff. Auf dem Tisch standen Automatenkaffees, die die Beamten hier am Leben erhielten. »Muss dia sich unbedingt am Volksfäschd umbringa lassa«, schimpfte der Schwabe. Lisa registrierte indessen, dass Simon ebenso wie viele andere Crailsheimer das offizielle Volksfest-T-Shirt trug. Der Basketballverein ›Merlins‹ hatte es sich zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr ein anderes Volksfest-T-Shirt zu designen, wie Heiko ihr einmal erklärt hatte. Diesmal hatten sie dem armen James Dean einen Maßkrug in die Hand gegeben. Darunter stand: »Denn sie wissen nicht, was sie tun – Volksfest Crailsheim.«
»Dir als Stuttgarter muss das Volksfest doch egal sein«, frotzelte Heiko und erntete einen strafenden Blick des schlaksigen Polizisten mit der dünnen blonden Frisur.
»Also zur Sachä. Des Mädle war, scheint’s, Frisöse.«
»Heißt das nicht Friseurin?«, warf Lisa ein.
»Ist doch egal«, murmelte Heiko.
»Beim Friseursalon ›Uschis Hairstyling‹«, fuhr Simon fort.
»Und heut Abend treten die Majoretten
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