Trauerweiden
zwei Lederstühlen an einem Schreibtisch, hinter dem Schuster in einem voluminösen Sessel residierte. Er erhob sich, als die Kommissare eintraten, und schüttelte jedem die Hand. Dann wies er auf die beiden Lederstühle.
»Sind Sie dienstlich hier oder privat?«, fragte er.
»Dienstlich«, erklärte Heiko.
Schuster lächelte, stützte die Arme auf dem Mahagonischreibtisch ab und lehnte sich erwartungsvoll nach vorne.
»Also, Herr Schuster, können Sie uns nochmal Ihr Verhältnis zu Frau Waldmüller beschreiben?«, begann Lisa.
Schusters Lächeln verkrampfte sich etwas, blieb aber. »Gerne«, sagte er dann. »Nun. Sie war meine Schwägerin in spe. Wir haben uns gut verstanden.«
»Und sonst?«, beharrte Heiko.
»Wie, sonst?«
»Sonst nichts?« Schuster runzelte die Stirn und schüttelte dann langsam den Kopf.
»Sie waren nicht zufällig ab und zu mit Frau Waldmüller im Ilge in Schwäbisch Hall?«, half Lisa nach.
Schuster erbleichte.
»Und Sie haben da nicht zufällig ab und zu so ein bisschen gefummelt und geknutscht?«
»Oder war das rein verwandtschaftlich?«, unterstellte Heiko.
»Hören Sie«, meinte der Arzt nun, »unter gar keinen Umständen darf meine Frau das erfahren. Das wäre … eine Katastrophe!«
Mit weit aufgerissenen Augen blickte er die Kommissare an, und es sah wirklich sehr flehend aus.
»Keine Sorge«, beruhigte Lisa, »wir werden Ihrer Frau nichts sagen, wenn es sich vermeiden lässt.«
»Uns interessiert aber vielmehr, ob denn das Kind von Ihnen sein könnte … und natürlich auch, ob Sie eventuell ein Motiv hätten, Jessica umzubringen … haben Sie denn eins? Könnte es zum Beispiel sein, dass Jessica Sie unter Druck gesetzt hat, Ihre Frau zu verlassen?«, fuhr Heiko fort.
Schuster nestelte am Revers seines Arztkittels. »Gut. Also das Kind ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von mir. Das gebe ich zu. Aber umgebracht habe ich Jessi nicht. Im Gegenteil. Ich trauere sehr um sie. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie schwer das für mich ist, zu Hause den Gleichgültigen zu spielen, oder sagen wir, den angemessen Trauernden, aber wie es in mir drin aussieht … nun ja.«
»Na, da spielen Sie doch zu Hause aber schon länger etwas vor, das dürfte Ihnen ja dann nicht allzu schwer fallen«, stichelte Lisa.
Der Arzt betrachtete gedankenverloren ein Newton-Pendel, das auf dem Tisch stand. Er hob die äußerste Kugel an, und das Klacken begann, als sich die Impulse fortsetzten und schließlich wieder zurückkamen. Klack klack klack. Nervtötend fand Heiko das, aber den Doktor schien es irgendwie zu beruhigen.
»Wissen Sie, mit meiner Frau ist es auch nicht immer leicht. Da hab ich irgendwie ein Ventil gebraucht, und mit der Jessi … da war alles so einfach, sie war so pragmatisch, so unkompliziert, sie war ganz wunderbar.«
»Hat Frau Waldmüller Ihnen denn von dem Kind erzählt?«
»Sie hat da so was angedeutet. Und sie hat gemeint, sie würde das klären.«
»Der Frauenarzt glaubt, sie wollte das Kind Florian unterschieben.«
Schuster schnalzte mit der Zunge. »Nein. Der Typ war sie nicht. Sie wäre damit herausgekommen. Sie hatte da, glaube ich, eine andere Idee.«
»Nämlich?«, hakte Lisa nach.
»Was weiß ich. Sie hat was von offener Beziehung und irgendwelchen Kommunen gefaselt. Ich hielt das für einen Witz.«
»Dass das Kind Down-Syndrom hatte, wissen Sie?«
Die dunklen Augen des Arztes weiteten sich. »Nein! Ist das sicher?«
Lisa nickte. »Wäre das ein Problem für Sie gewesen?«
Schuster sah zum Fenster hinaus, dann auf das immer noch klackende Ding. Dann sagte er: »Nun, toll ist das nicht. Aber was hätte man tun können?«
»Abtreiben?«, schlug Heiko vor.
Jetzt wirkte Schuster beleidigt. »Sie denken, ich als Arzt propagiere die Abtreibung? Für mich ist jedes Leben schützenswert, das ist mein Beruf.«
»Und Sie sind sich sicher, dass Ihre Frau nichts von der Affäre wusste? Dass sie nicht irgendwelche SMS gelesen hat, irgendwelche Briefe, Emails oder Ähnliches?«
»Nein. Unmöglich. Das kann nicht sein. Wir haben so gut aufgepasst.«
»Was Ihr Alibi betrifft … Sie waren die ganze Zeit auf dieser Junggesellenparty?«
»Das wird Ihnen sogar der Florian bestätigen können. Wir waren ja beide tonnenvoll und sind bis in die frühen Morgenstunden geblieben.«
»Das wär’s dann fürs Erste.« Lisa stand auf und beugte sich über den Schreibtisch. »Eine DNA-Probe bräuchten wir noch.«
Schuster starrte panikerfüllt auf das Röhrchen,
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