Trauerweiden
das sie aus der Tasche gezogen hatte. »Aber nur, wenn meine Frau nichts davon mitkriegt.«
»Der scheint ja unglaubliche Angst vor seiner Frau zu haben.«
»Kein Wunder. Vor der hätte ja sogar ich Schiss«, gab Heiko zu.
»Sogar du?«, spottete Lisa. »Na dann … «
Sie hatten sich am Brezelhäusle zwei Butterbrezeln gekauft und machten eine kurze Pause beim Brunnen. Gesellschaft leisteten ihnen die beiden Marktfrauen aus Stein, die kleine dicke und die lange dünne, die sich tratschend unterhielten und trotz ihrer Stilisierung irgendwie sehr hohenlohisch aussahen. Ein kleiner Fisch aus Bronze spuckte Wasser in das Bassin, was ein dezentes, durchaus nicht unangenehmes Plätschern erzeugte. Jubel ertönte aus Richtung Rathaus, und beide sahen irritiert zur Rathauspforte. Ein frisch getrautes Ehepaar kam aus dem Gebäude, belagert von Angehörigen und Freunden. Heiko entging nicht das »Hach«, das Lisa ausstieß. Er wies unauffällig auf das Paar.
»Jahahaah, noch sind die glücklich. Aber wart mal drei Jahre. Da werden sie fett, streiten andauernd und tragen nur noch Jogginganzüge.«
»So ein Quatsch! Wo hast du das denn her?«
»Das ist so«, behauptete Heiko. »Und dann, am Schluss, endet dieser arme, bedauernswerte Kerl wie der Schuster.«
»Soso, du findest Ehemänner also bedauernswert?«
Heiko nickte überzeugt. »Aber, also nur, dass du’s weißt, ich will auch mal heiraten … nur so zur Information. Wenn du da ein grundsätzliches Problem damit hast, dann musst du das sagen, weil dann … «
Heiko schüttelte so vehement, wie er eben genickt hatte, den Kopf. Er gab schnell seiner Lisa einen Kuss, um solche Gedanken zu verscheuchen. Solche Dinge durften nicht ausgesprochen werden. Ohne Lisa zu sein, wäre furchtbar für ihn, auch wenn er das niemals zugeben würde. »Na ja, vielleicht irgendwann einmal«, lenkte er ein. »Aber jetzt noch nicht.«
»Ich will ja auch gar nicht.«
»Wie, du willst nicht?«
»Jetzt noch nicht. Später vielleicht mal.«
Heiko brummte und biss erneut in seine Butterbrezel. Er kaute nachdenklich.
»Jedenfalls bin ich mir sicher, dass das Kind vom Schuster ist«, wechselte Lisa das Thema. Ein tiefer gelegtes Golf Cabrio brauste die Wilhelmstraße hoch und verschwand dröhnend. Das Statussymbol der Landjugend.
»Eine Sache hat mich aber irritiert«, begann Lisa, als die Angeberkarre verschwunden und es somit wieder leiser war.
»Was denn?«
»Na, das mit der Kommune. Wenn die Jessi nun vom Mario Schuster verlangt hat, dass er mit offenen Karten spielt? Und dass vielleicht alle ganz glücklich zusammen leben sollten, vielleicht sogar im selben Haus, und dass sich alle ganz doll lieb haben sollten?«
»So doof kann man doch nicht sein«, wandte Heiko ein.
Lisa hob die Hand. »Könnte aber doch sein. Wenn die Jessi solche Sachen von ihrem Geliebten verlangt hätte, dann hätte der ein 1-A-Motiv.«
»Du meinst, vor lauter Angst vor seiner Frau?«
Lisa nickte und beobachtete den Kerl mit Vollbart und Bierflasche in der rechten Hand, der leicht schwankend, aber mit federndem Gang aus Richtung Lammgarten auf sie zukam.
»Hast ne Mack?«, fragte er und meinte damit Heiko.
»Hey, Gaggser«, begrüßte Heiko den stadtbekannten Säufer und kramte in seiner Hosentasche. Inzwischen war der Mann heran, und Lisa musterte ihn naserümpfend, aber mit höflichem Lächeln. Der könnte sich auch mal wieder rasieren, befand sie. Und andere Klamotten anziehen. Heiko reichte dem Mann einen Euro, den Gaggser dankend nahm. Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
»Du kennst ihn?«, fragte Lisa.
Heiko nickte. »Das ist ein ganz armer Kerl. Ich weiß auch nur Tratsch, aber man erzählt sich, dass kurz nach dem Abi seine Freundin von einem Müllauto überfahren worden sei und dass er daraufhin das Saufen angefangen habe.«
»Der Mann hat Abitur?«, wunderte sich Lisa.
»Ja. Und er treibt sich auch immer noch oft am ASG herum.«
Lisa wusste bereits, dass Heiko sein Abi am Albert-Schweitzer-Gymnasium gemacht hatte. »Und der kommt auch oft in den Unterricht rein, als ich noch in der Schule war, hat der das ein paar Mal gemacht. Und der weiß die Sachen alle noch, der kuckt auf den Tafelanschrieb und kommentiert, egal, wie besoffen er ist. Und im Schulchor singt er auch manchmal mit.« Lisa wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Wie tragisch!«
»Ja, schon. Und jetzt nennen ihn halt alle Gaggser, weil er immer so rumgaggst, wenn er voll ist. Ich glaube, er
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