Trauerweiden
aufmerksam an.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, begann Lisa.
»Die Majorette?«, fragte der Junge.
Heiko wunderte sich nicht im Geringsten, dass auch die Haller über den Fall Bescheid wussten. »Sie kannten die Frau?«
»Die war ab und zu hier«, erklärte der Italiener und sah träumerisch auf den Kocher hinunter. »Eine ganz Hübsche war das. Schad um sie.«
»Wir suchen die Frau, mit der sie immer hier war.« Heiko zückte den Kalender. »Eine … Marianne … Monika … Marion oder so ähnlich.«
Der junge Mann dachte angestrengt nach. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
»Neinnein, die war nicht mit einer Frau hier. Die hatte immer ihren Kerl dabei. Die konnten gar nicht die Finger voneinander lassen.«
»Ein blonder? So ganz hellblond?«, vermutete Lisa.
»Nein. Der war dunkelhaarig.«
In Heikos Hirn arbeitete es. Dunkelhaarig. Marianne. Monika. Marion.
»Mario!«, riefen er und Lisa gleichzeitig.
»Nein, nein, ich heiße Leandro«, korrigierte der Kellner.
»War ja schlau von der Jessica, einen weiblichen Namen in den Kalender einzutragen«, stellte Lisa fest, als sie wieder im Auto saßen.
Heiko startete den Wagen und manövrierte ihn durch die zahlreichen 30er-Zonen auf den städtischen Hauptstraßen.
»So konnte sie sich immer auf das Date freuen und ihrem Freund notfalls irgendwelche Alibi-Stories erzählen.«
»So sind halt die Weiber«, urteilte Heiko.
»Na, na«, beschwerte sich Lisa.
»Ist doch wahr. Auf so eine Idee kommt nur eine Frau. Ein Mann hätte ein extra Handy, dessen Nummer nur seine Freundin hat.«
»Wie ehrlich und aufrichtig«, spottete Lisa. »Aber das Ganze wirft auch ein neues Licht auf die Anrufliste.«
»Wie meinst du das?«, fragte Heiko.
»Wenn Jessica also bei ihrem Schwager angerufen hat, dann hat sie auch bei ihrem Geliebten angerufen, nicht?«
»Und wenn der nicht am Telefon war, hat sie eben mit der Elke geplaudert und die nette Verwandte gespielt«, folgerte Heiko.
»Wie gemein!«
»Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Elke Schuster was von der Affäre wusste.«
Sie passierten das Gebäude der Bausparkasse und die Polizeidienststelle im Gräterweg. »Zuallererst müssen wir klären, ob der Mario Schuster der Vater des Kindes ist. Das machen wir jetzt als Nächstes.«
Der Motor röhrte begeistert auf, als Heiko das Gaspedal, nun außerhalb der Stadt, bis zum Anschlag durchdrückte.
»Ist Doktor Schuster im Haus?«, fragte Lisa durch die Sprechanlage. Ein kurzes Telefongespräch mit Simon hatte ergeben, dass Schuster Allgemeinmediziner war und zusammen mit einem jordanischen Kollegen in der oberen Etage eines Hauses in der Karlstraße praktizierte. Ein knappes »Ja«, dann surrte der Türöffner, und die Tür sprang auf.
Sie betraten die hell und freundlich eingerichtete Praxis. Die Sprechstundendame saß in einer halbrunden Thekenkonstruktion und war in ihrer Haltung einer Königin auf dem Thron nicht unähnlich. Lisa hätte sich nicht gewundert, wenn irgendwo Diener versteckt gewesen wären, die ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen und sich anschließend rückwärtsgehend entfernten. Trotz ihres weißen Kittels und ihres von grauen Strähnen durchzogenen strengen Dutts wirkte sie attraktiv, obwohl sie schon um die 50 war. Zudem strahlte sie tatsächlich eine gewisse Würde aus. Ein pinkfarbener Lippenstift betonte ihren energisch geschwungenen Mund. »Grüß Gott«, grüßte Heiko, und die Dame nickte gnädig.
»Sie haben einen Termin?«, fragte sie dann mit hochgezogenen Augenbrauen.
Heiko hob abwehrend die Hände. Ein Arztbesuch. Das fehlte noch. Obwohl, eigentlich hatte er sich schon lange nicht mehr durchchecken lassen. Und die letzte Impfung lag garantiert mehr als zehn Jahre zurück. Und zum Zahnarzt müsste er auch mal wieder … nun, er würde sich demnächst darum kümmern. Bald. Zudem war das Wartezimmer komplett leer. Wozu bräuchte man also einen Termin?
»Wir sind von der Polizei und müssten mal mit dem Herrn Doktor reden«, schaltete sich Lisa ein.
»Doktor Schuster oder Doktor Habibi?«, fragte die Dame.
Die Frage erübrigte sich eigentlich, da sie sich ja nach Doktor Schuster erkundigt hatten. Heiko folgerte, dass sie also wohl eine Machtdemonstration der Dame war. »Doktor Schuster«, wiederholte er also brav und versuchte ein Lächeln.
»Nehmen Sie kurz im Wartezimmer Platz.«
Nach einer angemessenen Wartezeit wurden sie ins Sprechzimmer Eins gebeten. Ein typisches Arztzimmer mit grüner Liege und
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