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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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Würth, aber dafür gab es auch hier Kulturinitiativen. Der frappierendste Unterschied jedoch war der Dialekt. Obwohl geographisch zu Hohenlohe gehörig, redeten die Haller tendenziell Schwäbisch, was sie für die Hohenloher in Crailsheim so unsympathisch wie nur irgend möglich machte. Noch dazu stand auf den Crailsheimer Nummerschildern seit der Gemeindereform 1972 »SHA«, was die Leute in Crailsheim natürlich gehörig wurmte. Es gab viel Gezicke zwischen den beiden Städten, aber das meiste davon wurde mit einem Augenzwinkern praktiziert. Heiko musste auch zugeben, dass Schwäbisch Hall schon was hatte. Irgendwie. Nicht so wie Crailsheim natürlich. Aber auch. Sie parkten das Auto am Haalplatz, der sich direkt neben dem Kocher befand, folgten der malerischen Uferstraße und kamen bald zur Henkersbrücke.
    »Die Brücke wurde im 16. Jahrhundert gebaut. Und das da ist das Henkershäusle.« Heiko wies auf ein kleines steinernes Häuschen auf der Mitte der Brücke. »Da saß früher der Henker drin und zog Zoll ein. Siehst du, da oben auf dem Zwiebeltürmchen ist noch die Fratze als Symbol.«
    Lisa folgte mit Blicken seinem ausgestreckten Zeigefinger und entdeckte tatsächlich ein steinernes Relief.
    »Und in dem Häusle wohnen sogar noch zwei drin.«
    Lisa zog die Augenbrauen hoch. »Tatsächlich?«
    »Wirst gleich sehen«, lachte Heiko und zog sie zu dem gemauerten Kabuff.
    Lisa entdeckte zwei Puppen. Große Puppen, beinah lebensgroß. Sie hockten auf Stühlen an einem Tisch, der mit einem Kaffeegedeck versehen war, an der Wand ein Schild mit der Aufschrift »Kehrwoche«. Die Puppen stellten alte Frauen dar. Die linke trug ein bordeauxrotes Kleid und eine schwungvolle graue Frisur. Sie blickte aus großen, schlupflidrigen blauen Augen nach schräg rechts oben. Die rechte hatte ein blaues Kopftuch auf, ein überaus fliehendes Kinn und trug ein blaues Kleid. Insgesamt erinnerten die beiden Damen frappierend an die Nachbarinnen von Florian Ehrmann.
    »Und was ist das?«, fragte Lisa.
    »Das sind Frau Schäufele und Frau Kehrer«, stellte der Kommissar vor.
    »Aha. Und was machen die so?«
    »Das wirst du gleich sehen.« Heiko deutete auf den Geldschlitz, kramte in seiner Tasche und förderte schließlich ein 50-Cent-Stück zu Tage.
    »Studenten 50 Cent, Bürger 1 Euro, Millionäre 2 Euro«, las Lisa die Aufschrift über dem Geldschlitz vor. »Seit wann bist du Student?«
    Heiko grinste. »Millionär bin ich aber auch nicht«, verteidigte er sich.
    »Sind also nicht nur die Schwaben geizig«, stellte Lisa fest.
    Heiko brummte, zog böse die Augenbrauen zusammen und sah dabei umwerfend süß aus. Dann warf er die 50 Cent in den Schlitz. Das Licht in dem Kasten ging an, die Puppenaugen rollten, und schließlich begannen die beiden Figuren zu sprechen.
    »Frau Kehrer, Frau Kehrer. Guggad Se mol, ja was guggad die denn so? Henn se scho ghört?«
    »Noi? Was isch denn, Frau Schäufele?«
    Und dann lauschten die Kommissare den Ausführungen der beiden Damen zur Kehrwoche sowie zur aktuellen Weltpolitik.
     
    Das Ilge war nicht groß, aber von außen sah es noch viel kleiner aus. Es war ein altes und sehr hohes, schmales Fachwerkgebäude, in dessen Untergeschoss sich ein Laden befand. Die Ermittler betraten den Bau durch eine Tür auf der linken Seite. Eine Treppe mit dunkelrotem Teppich führte in den ersten Stock, ins Cafe. Trotz der frühen Stunde war es recht voll. Rechts erstreckte sich eine lange Theke, vor der Barhocker und Stehtische standen, links gab es zwei Räume mit Sofas. Heiko nahm Lisas Hand und zog seine Freundin geradeaus auf die Veranda. Diese Veranda des Ilge war einer der besten Aussichtpunkte in ganz Hall, denn von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Altstadt, direkt unterhalb war der Kocher gelegen. »Wow!«, entfuhr es Lisa.
    »Schön, gell? Das muss man den Hallern lassen«, gab Heiko zu.
    Er wies auf einen kleinen Metalltisch mit zwei Stühlen, direkt am Geländer. Sie setzten sich, und wenig später kam die Bedienung. Erfreut stellte Lisa fest, dass die Getränkekarte hier etwas exotischer als üblich war, sie bestellte begeistert ein Orangina Rouge. Heiko blieb bei seinem Cola. Als die Bedienung die Getränke brachte, wies Heiko auf einen freien Stuhl und zückte seinen Polizeiausweis. Der Kellner, ein junger Italiener, tänzelte nervös auf und ab. »Wir hätten nur ein paar Fragen.« Der junge Mann stellte sein Tablett auf den Nachbartisch, setzte sich und blickte die beiden

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