Traum ohne Wiederkehr
versucht, mich mit meinem eigenen Mund zu belasten. Ich versichere Euch, ich bin kein Verräter. Ich bin Hawarel, und ich habe meinen Treueeid auf die Oberkönigin in keiner Weise gebrochen.«
Ein aus der Ungeduld geborener Ärger stieg in Tamisan auf. Sie hatte Lord Starrex nicht für einen einfältigen Mann gehalten. Seinem Gegenstück hier fehlte jedoch offenbar mehr als nur sein Aussehen.
»Sie sind Starrex, und wir bewegen uns in einem Traum!« Selbst wenn das nicht so war, wollte sie es lieber im Augenblick nicht zur Sprache bringen. »Erinnern Sie sich an den Himmelsturm? Sie kauften mich von Jabis, um für Sie zu träumen. Dann riefen Sie mich und Lord Kas und befahlen mir zu beweisen, daß ich meinen Preis wert bin.«
Er runzelte finster die Stirn und starrte sie an.
»Was haben sie Euch gegeben oder versprochen, daß Ihr mir das antut?« fragte er. »Ich bin weder euer, noch der Feind der Euren, soviel ich weiß.«
Tamisan seufzte. »Wollen Sie leugnen, daß Ihnen der Name Starrex bekannt ist?«
Eine lange Weile schwieg er. Dann wandte er sich von ihr ab und machte ein paar Schritte. Tamisan wartete. Endlich drehte er sich wieder ihr zu.
»Ihr seid ein Mund Olavas …«
Sie schüttelte den Kopf und unterbrach ihn. »Wir haben keine Zeit für Herumgerede, Lord Starrex. Sie kennen den Namen, und ich bin überzeugt, daß Sie auch über den Rest Bescheid wissen, zumindest in groben Zügen. Ich bin die Träumerin Tamisan.«
Jetzt seufzte er ungeduldig. »So sagtet Ihr.«
»Und ich werde es auch weiter sagen, vielleicht werden es andere glauben, wenn Sie sich weigern.«
»Wie ich es mir dachte!« fuhr er auf. »Ihr wollt, daß ich mich verrate!«
»Wenn Sie wirklich Hawarel wären, wie Sie behaupten, was hätten Sie dann zu verraten?«
»Nun gut. Ich bin – ich bin zwei! Ich bin Hawarel und jemand anderer, der seltsame Erinnerungen hat und ein Nachtdämon sein könnte, der mir die Herrschaft über diesen Körper streitig machen möchte. So, jetzt wißt Ihr es. Geht und sagt es denen, die Euch schickten, damit sie mich zum Pfeilstand schleppen und mir dort ein schnelles Ende bereiten. Das ist vielleicht sogar besser, als ein Schlachtfeld zweier verschiedener Selbst zu sein.«
Möglicherweise war es gar nicht Starrsinn bei ihm, dachte Tamisan jetzt. Es konnte ohne weiteres sein, daß der Traum über ihn größere Macht als über sie hatte. Immerhin war sie eine gelernte Träumerin und gewöhnt, sich in Illusionsabenteuer zu begeben, die ihrer eigenen Phantasie entstammten.
»Wenn Sie sich zumindest ein wenig erinnern können, dann hören Sie mir jetzt zu.« Sie trat dicht an ihn heran und sprach mit leiserer Stimme. Schnell gab sie einen kurzen Bericht über das ganze Durcheinander, oder zumindest ihre Rolle darin.
Als sie endete, stellte sie erstaunt fest, daß Hawarels Züge jetzt härter wirkten, er entschlossener aussah und weniger wie einer, der sich in einem Irrgarten verlaufen hatte, ohne einen Anhaltspunkt, wie er wieder herausgelangen könnte.
»Das ist die Wahrheit?«
»Bei welchem Gott oder welcher Macht soll ich es Ihnen schwören?« Sie war wütend, daß er immer noch zweifelte.
»Das ist nicht nötig«, versicherte er ihr jetzt, »denn Eure Worte erklären, was mir bisher unerklärlich gewesen war und mich selbst in den Augen anderer verdächtig machte. Ich war zwei verschiedene Personen. Aber wenn dies alles ein Traum ist, wieso ist das dann möglich?«
»Wenn ich das wüßte!« Tamisan hielt Offenheit für ihre Zwecke jetzt am besten. »Es ist so ganz anders als alle Träume, die ich bisher kreierte.«
»Auf welche Weise anders?« fragte er.
»Es gehört zu den Pflichten einer Träumerin, die Persönlichkeit ihres Herrn zu studieren, sich nach seinen Wünschen zu richten, selbst wenn sie unausgesprochen bleiben und unterbewußt sind. Nach dem, was ich über Sie lernte, Lord Starrex, war mir klar, daß ich mir etwas völlig Neues ausdenken mußte, da Sie so vieles bereits selbst erlebt hatten und kannten. Täte ich es nicht, würden meine Träume Sie nicht zu fesseln vermögen.
Deshalb kam ich auf den Gedanken, weder Träume der Vergangenheit, noch der Zukunft für Sie zu schaffen, wie es bei Handlungsträumerinnen üblich ist, sondern eine veränderte Gegenwart. Es gab in der Vergangenheit viele Kreuzungspunkte, bei denen die Zukunft von einer einzigen Entscheidung abhing. Ich wählte einige dieser Entscheidungen aus und stellte mir dann eine Welt vor, zu der es
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