Traumfabrik Harvard
dem der Staat allen Veteranen versprach, je nach der Länge ihrer Dienstzeit
bis zu vier Jahre lang, für die Kosten aufzukommen, die ihnen durch eine weiterführende Bildung entstehen würden (also Studiengebühren,
Ausgaben für Lebensunterhalt und Bücher), und zwar auflagenfrei und ohne individuelle Bedürftigkeitsüberprüfung.
Dieser Rechtsanspruch auf staatliche Alimentation betraf zunächst nur einen klar umrissenen Personenkreis. Dennoch öffnete
das neue Gesetz zumindest einen Spalt breit die Tür zu einem universellen Bürgerrecht auf Hochschulausbildung. Nicht umsonst
wird es daher oft als »GI-Bill of Rights« bezeichnet. Annähernd acht Millionen Veteranen absolvierten nach ihrer Entlassung
aus dem aktiven Militärdienst auf Staatskosten die eine oder andere Form postsekundarer Bildung: Etwa 2,2 Millionen belegten
Kurse an einem Junior College oder einer Hochschule, 3,5 Millionen besuchten berufsbildende Schulen, und weitere 2,2 Millionen
gaben einem Training
on-the-job
in einem Betrieb oder auf einer Farm den Vorzug vor der Schulbank. 1947 stellten ehemalige GIs knapp die Hälfte aller Studenten
in den USA. Viele von ihnen erwarben tatsächlich einen Abschluss. Mit den neuen Kunden veränderten sich die Proportionen,
vor allem aber die gesellschaftliche Stellung und Akzeptanz der Hochschulen. Im gleichen Maße, wie man Hochschulbildung als
einen Grundpfeiler jeder demokratischen, gerechten sozialen Ordnung anzusehen begann, interessierten sich Öffentlichkeit und
Politik dafür, wie die Hochschulen dieser Aufgabe nachgingen. Ob und inwiefern ihre Zulassungsverfahren, Leistungsanforderungen
und Lehrformen das Versprechen einlösten und Angehörige bestimmter Gruppen und Milieus benachteiligten, war nicht länger allein
ihre Sache, sondern wurde jetzt aufmerksam beobachtet und kommentiert. So wuchs ihnen bei der Verwaltung sozialer Teilhaberechte
und Chancen |75| eine Schlüsselrolle zu, die in anderen Ländern damals noch ohne Parallele war. Hochschulen waren zu Wohlfahrtsmaschinen geworden
– Motoren für die Produktion von dringend benötigtem Humankapital, sozialer Chancengleichheit, technischen Innovationen und
wirtschaftlichem Wachstum.
Staatliche Regulative und Leistungen – vom Morrill Act 1862 über den GI-Bill 1944 bis zum daran anknüpfenden Higher Education
Act von 1972 – wirkten in diesem Prozess in mehrfacher Weise als Katalysatoren. Zum einen trugen sie maßgeblich dazu bei,
das Spielfeld aufzuspannen, gewisse Grundregeln für die Hochschulausbildung durchzusetzen und den öffentlichen Sektor als
bedeutenden Akteur darin zu platzieren. Darüber hinaus sanktionierte der Staat teils explizit, teils aber auch nur indirekt
eine neue Agenda für die amerikanischen Hochschulen, die ihnen wahre Wunderkräfte zuschrieb und eine Fülle schwieriger Aufgaben
bescherte (Kerr 2003): Ganz obenan rangierte die Idee, sie sollten allen Bürgern bessere Bildungschancen bieten und für eine
gerechte, legitime Verteilung sozialer Positionen nach Leistung und Befähigung sorgen. Zweitens sollten sie der bunten
salad bowl
der amerikanischen Gesellschaft durch eine kluge Zulassungspolitik und durch Curricula mit klarem zivilgesellschaftlichen
Bildungsauftrag ein kulturelles Dressing geben, das helfen könnte, die großen sozialen und ethnischen Disparitäten zu lindern
und vielleicht sogar abzuschmelzen. Drittens katapultierten der Kalte Krieg und entfesselte Nukleartechnologien die Forschung
ins Zentrum politischer Aufmerksamkeit. Plötzlich hieß es allerorten, dass nur Vorsprünge in der Forschung die »freie Welt«
vor dem kommunistischen Zugriff retten und die Wettbewerbsfähigkeit der USA in der heraufkommenden »Wissensgesellschaft« sichern
könnten. Da die Forschung in den USA traditionell an Universitäten betrieben wurde und auch weiterhin dort angesiedelt bleiben
sollte, wuchs letzteren damit gewissermaßen über Nacht eine zweite Aufgabe von größter nationaler Bedeutung zu.
Obwohl der entscheidende Impuls für die Hochschulexpansion vom Staat ausging, führte dies nicht zu einer stärkeren Vereinheitlichung
oder gar Verstaatlichung des Hochschulsystems. Die öffentliche Förderung tat dessen chronischer chaotischen Vielfalt keinen
Abbruch, sondern produzierte lediglich neue Bruch- und Differenzierungslinien. Allerdings änderten sich damit die Bühne und
die Bezugspunkte für die Hochschulentwicklung, die nun auf eine Art
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