Traumfabrik Harvard
gemeinsamen Takt eingeschworen wurde. Diesen Trend als
»Nationalisierung« zu bezeichnen (Bender 1997) ist aber sicher stark übertrieben, zumal die
federal grant university
– öffentliche Forschungsuniversitäten |76| , die große Summen an Drittmitteln aus dem Bundeshaushalt einwerben – keineswegs zum dominanten oder wichtigsten Hochschultyp
der neuen Zeit wurde. Stattdessen blieb es beim alten Grundkonsens, die verschiedenen Abteilungen der Hochschulwelt nur in
homöopathischen Dosen zu koordinieren. Wirkungen dieser Steuerungsversuche wurden denn auch höchstens in Spurenelementen sichtbar.
Dennoch war ein Quantensprung erfolgt, der über das goldene Zeitalter zwischen 1945 und 1975 weit hinaus fortwirkte. Worum
ging es dabei, und was war daran neu?
Mit dem Berechtigungsgedanken hatte der GI-Bill zugleich auch ein bestimmtes Steuerungsmodell in der politischen Arena verankert:
Obwohl der Bund viel Geld in die Hochschulausbildung pumpte, verzichtete er auf direkte Gestaltungskompetenzen. Seine Fördermittel
kamen den Einrichtungen nicht direkt zugute, sondern Zuwendungsempfänger waren vielmehr die Veteranen und angehenden Studenten.
Sie konnten der Hochschule ihrer Wahl einen staatlich garantierten Gutschein vorlegen, der auf die Studiengebühren anzurechnen
war. Nicht der Kongress oder eine gesetzlich festgelegte Formel entschied demnach über die Verteilung der Fördermittel, sondern
das Wahlverhalten der »Kunden«. Damit schien die Quadratur des Kreises gelungen – nämlich eine zentrale Finanzierung unter
den Auspizien einer dezentralen, marktorientierten Steuerung. Der Staat verzichtete auf eine Regulierung der Leistungserbringer
und überließ Allokationsentscheidungen dem Markt. Ganz ohne staatliche Kontrolle ging es dann aber doch nicht. Um Etikettenschwindel
und einer missbräuchlichen Verwendung öffentlicher Mittel vorzubeugen, konnten Studenten ihre Gutscheine nämlich nur an solchen
Einrichtungen validieren, die sich einer Überprüfung ihrer Studienprogramme, Ressourcen und Infrastruktur durch eine vom Staat
unabhängige Akkreditierungsagentur unterzogen hatten und dazu bereit waren, sich alle zehn Jahre erneut einem solchen Verfahren
zu stellen. Bis heute fällt die systemische Qualitätssicherung im amerikanischen Hochschulwesen sechs regionalen Akkreditierungsagenturen
zu, während das Department of Education weder eine operative Verantwortung dafür übernimmt noch prozedurale Auflagen erteilt.
Sobald
higher education
aus der Windstille behüteter sozialer Privilegien herausgerückt war, glichen sich Studienprogramme, Qualifikationsanforderungen
an die Hochschullehrer und administrative Praktiken der einzelnen Hochschulen einander immer mehr an, obwohl es nach wie vor
keine legalen |77| Vorgaben dafür gab. Doch die Hochschulen schauten sich nun gegenseitig über die Schulter und passten auf, dass sie mit ihren
Praktiken nicht aus dem Rahmen fielen. Soziale, religiöse und rassische Diskriminierung bei der Studienzulassung, wie sie
in der Vorkriegszeit noch überall gang und gäbe gewesen war, galt zunehmend als inakzeptabel. Lauthals verlangten Politik
und Öffentlichkeit, solchen Praktiken ein Ende zu bereiten. Wenn nun die Veteranen der »great generation« mit staatlichen
Stipendien winkend an die Türen der Hochschulen klopften, sollte es sich keine herausnehmen dürfen, sie ihren Alumni zuliebe
abzuweisen, bloß weil sie eine schwarze Hautfarbe hatten oder katholisch waren. Auch die traditionell antisemitischen Bastionen
der
ivy league
konnten sich nicht mehr mit billigen Tricks gegen die smarten, ehrgeizigen Sprösslinge ostjüdischer Einwanderer abschotten.
Im politischen Klima der Nachkriegszeit und später dann durch die Bürgerrechtsbewegung wurden auch und gerade die traditionellen
Elite-Hochschulen gezwungen, meritokratische Töne anzuschlagen. All das beflügelte wiederum die Entwicklung und den Einsatz
standandisierter Testverfahren, die versprachen, die Studienbefähigung von Bewerbern unabhängig von deren Schulnoten beurteilen
zu können.
Im goldenen Zeitalter der amerikanischen Hochschule herrschten Optimismus, Idealismus und ein erstaunliches Vertrauen in die
zivilisatorischen Kräfte der
higher education
. Kraftanstrengungen in Bildung und Wissenschaft verhießen eine gloriose Zukunft, Milch und Honig für alle Bürger. In den
College-Curricula der Nachkriegszeit und im Studienverhalten der
baby
Weitere Kostenlose Bücher