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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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boomers
kam diese Grundstimmung greifbar zum Ausdruck. Sie motivierte auch die von Präsident Harry Truman eingesetzte Kommission,
     die eine programmatische Ortsbestimmung für die Hochschulausbildung erarbeiten und die weitere Entwicklung des Systems abstecken
     sollte. Ihr Bericht »Higher Education for American Democracy« aus dem Jahre 1947 (President’s Commission 1947) atmete in jedem
     Satz den Geist der Zeit – Stolz auf die Kraft und demokratische Kultur der USA, eine tiefe Irritation über die eskalierende
     Konfrontation mit der Sowjetunion und die »totalitäre Versuchung« kommunistischer Ideologie – und bezeugte zugleich das emphatische
     Verständnis von den Aufgaben und der Rolle von
higher
education.
    Sechzig Jahre später wirkt das Konzept angestaubt, ist aber noch lange nicht verbraucht. Bis heute spannt es den normativen
     Horizont für hochschulpolitische Debatten, den großen Kurs und das tägliche Geschäft der Hochschulen in den USA auf. Dass
     entsprechende Verlautbarungen oft |78| mit einem befremdlichen Pathos und religiösem Erweckungsgestus daherkommen, darf nicht dazu verleiten, sie als Lippenbekenntnisse
     abzutun. Wer die US-amerikanische Hochschulausbildung und die besondere Philosophie des
American college
verstehen will, muss ihr kulturelles
framing
und ihre normative Aufladung ernst nehmen. Der Kommissionsbericht von 1947 bietet darin hervorragende Einsichten. Chronologisch
     zwischen zwei anderen sehr einflussreichen Denkschriften angesiedelt – dem »Red Book« von James Bryant Conant aus dem Jahr
     1945 für die
general education
der Studenten des Harvard College sowie der eleganten Bestandsaufnahme der Ziele und Formen einer
general education
, die der Soziologe Daniel Bell 1966 für die Columbia University verfasste 20 –, lotet er die konzeptionellen Eckpfeiler für die amerikanische Collegeausbildung in Zeiten der
mass higher
education
aus. Deren politische und soziale Ziele sind nirgendwo ähnlich prägnant und umfassend ausbuchstabiert worden wie in diesem
     Weißbuch: Bildung als Bürgerrecht und »means of equalizing the conditions of men« statt bloßer Zurichtung für eine berufliche
     Tätigkeit – hier findet man die ganze Fülle dieses Programms »in a nutshell«, wie es im Englischen so bildlich heißt.
    Der Text spart nicht an dramatischen Imperativen. »The future of our civilization depends on the direction education takes«,
     heißt es gleich zu Beginn, und ganz offensichtlich meinten die Autoren damit mehr als nur wirtschaftliche Prosperität. 21 »Education for all« sei zur »foundation of democratic liberties« unverzichtbar, so dass man die »intrinsic powers of every
     citizen« freisetzen und bestmöglich ausschöpfen müsse.
Higher education
habe folgerichtig über die Vermittlung von fachlichem Wissen und technischen Fertigkeiten hinauszublicken und einem »public
     purpose« zu dienen. Die Ausbildung im College ähnlich zu spezialisieren wie
graduate
studies
sei falsch, denn damit lasse sich nicht die »common citizenship« entwickeln, derer das Land so dringend bedürfe. Auf die richtige
     Mischung der Inhalte und Studienelemente komme es an.
Liberal education
sei kein lästiger Ballast, den man schon bald nach Studienbeginn zur Seite legen könne. Eine strikte Berufsorientierung der
     Hochschulbildung sei nur auf der Basis einer gemeinsamen Kultur sinnvoll, andernfalls aber höchst bedenklich. Mit diesem starken
     Plädoyer für das demokratische Potenzial und den politischen Auftrag von
higher education
ging gleich eine scharfe Zurückweisung fester Zulassungsquoten für soziale Minderheiten – »particularly Negroes and Jews«
     – einher: Sie verletzten das amerikanische Prinzip, dass man Menschen nicht nach sozialer Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit |79| diskriminieren dürfe, sondern nach individueller Fähigkeit und Leistung fördern müsse. Quoten, daran ließ die Kommission keinen
     Zweifel, seien zutiefst »un-American« – nämlich »European in origin and application«.
    Die Botschaft von 1947 könnte nicht klarer sein: Eine
great society
zeichne sich durch »educated citizens« aus. Daher müssten möglichst viele Menschen die Gelegenheit zu einem Studium bekommen,
     aber gleichzeitig auch die Hochschulen ihre staatsbürgerliche Aufgabe ernst nehmen und die soziale und politische Kohäsion
     Amerikas vorantreiben: »American colleges and universities must envision a much larger role for higher education in the

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