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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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Verwissenschaftlichung
     der Hochschulausbildung boten. In der Tat stürzten sich viele begeistert auf das neue Exerzierfeld der
graduate studies
und waren gleichzeitig eifrig darum bemüht, möglichst viele
professional schools
unter ihre Fittiche zu nehmen. So ist es kaum verwunderlich, wenn sie weit häufiger als private Institutionen den Status einer
university
erwarben, auf den Ausbildungsbedarf neu entstehender »professional services« besser vorbereitet waren und mehr als zwei Drittel
     aller Ingenieure ausbildeten.
    |71| Das zweite Pfund des öffentlichen Hochschulwesens waren die niedrigen Kosten. Große Preisabstände zwischen staatlichen und
     privaten Hochschulen sind nämlich kein Phänomen aus der jüngeren Zeit, sondern bereits seit 1930 die Regel: Verlangten öffentliche
     Hochschulen von
undergraduates
aus ihrem Staat damals durchschnittlich 65 Dollar für
tuition
im Jahr, mussten Studenten an privaten Einrichtungen mit 265 Dollar das Vierfache davon hinblättern (Geiger 2005). Ihr breites,
     attraktives Leistungsspektrum und günstige Gebühren programmierten die öffentlichen Hochschulen auf Wachstumskurs. Je mehr
     Amerikaner studieren wollten, desto gewichtiger wurde der staatliche Sektor. Dass eine Reihe großer Städte seit 1900 daranging,
     Colleges in kommunaler Regie aufzubauen, um einem Mangel an bestimmten Qualifikationen abzuhelfen, verstärkte diesen Trend
     noch weiter. Zu diesen städtischen Hochschulen zählten so unterschiedliche Einrichtungen wie »Teachers Colleges«, die dringend
     benötigte Lehrer für das aus den Nähten platzende öffentliche Schulwesen ausbildeten, höhere berufliche Fachschulen und Hauswirtschafts-
     und Ingenieurschulen, an denen der Unterricht oft am Abend stattfand. Aus ihnen gingen zunächst die »Junior Colleges« hervor,
     die später dann meist in »Community Colleges« umbenannt wurden.
    An den meisten dieser Einrichtungen konnte man keinen Hochschulabschluss erwerben. Aber es gab auch Ausnahmen von dieser Regel.
     Das berühmte City College of New York (CCNY) verhalf Zehntausenden ehrgeiziger Sprösslinge armer Einwanderer aus Ost- und
     Südeuropa zu einer erstklassigen Ausbildung und zu einem Einstieg in amerikanische Bilderbuchkarrieren. In den 1920er Jahren
     zählte diese Vorläufereinrichtung der CUNY (City University of New York) bereits mehr als 24.000 Studenten, was sie zu einer
     der größten amerikanischen Hochschulen machte. Von der großen Nachfrage nach leicht zugänglichen, gut organisierten, nicht
     kopflastigen, sondern unmittelbar verwendungsfähigen und möglichst kostengünstigen Studienmöglichkeiten angespornt, wuchs
     die Zahl kommunaler Colleges rasch an. Studierten 1940 erst elf Prozent aller Studenten in den USA an einer solchen Einrichtung,
     waren es 2006 mehr als ein Drittel (37 Prozent). Aus Nachzüglern und Schmuddelkindern entwickelte sich eine putzmuntere und
     ihrerseits wiederum äußerst vielfältige untere Abteilung des US-Hochschulwesens, deren große Anziehungskraft und wichtige
     Rolle im Glücksrad der Verteilung von Lebenschancen leider oft übersehen wird.
    |72| Eine neue Klientel, neue Studienwünsche und ein verändertes Studienverhalten mischten die Hochschulwelt bereits in der Zeit
     zwischen den beiden Weltkriegen gehörig auf. Dem vernehmlichen Wunsch nach besserer Orientierung und einer klareren Unterscheidung
     zwischen verschiedenen Arten von Einrichtungen begegnete sie unter anderem mit einer starken Betonung hierarischer Differenzen.
     Als Kuppelprodukt fortschreitender Öffnung und Diversifizierung entstand eine neue Hackordnung auf dem Hof der
academy
. Jede Hochschule wird seitdem einem bestimmten Status- und Prestigecluster zugeordnet. Dem klassischen Modell eines Vollzeit-Studiums
     im
residential college
mit starker Betonung der
liberal arts,
Persönlichkeitsbildung und kulturellen Kompetenzen für berufliche Tätigkeiten mit hohem sozialen Status trat die moderne Massenhochschule
     zur Seite. Deren Studenten sahen im College nicht länger eine besondere Lebensform, sondern eine Dienstleistungseinrichtung,
     in der sie, notfalls und immer öfter auch in Teilzeit, Kompetenzen und Zertifikate erwerben konnten, die ihnen den Zugang
     zu semiprofessionellen Tätigkeiten und technischen Berufen eröffneten. Colleges, die weiterhin große Stücke auf
liberal arts
und bürgerliche Charakterbildung gaben, mutierten zu Elite-Institutionen. Selbst wenn ihnen ein solches Etikett nicht unlieb
     war,

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