Traumfabrik Harvard
finanzieller
Bedürftigkeit (
financial need
) vergeben werden und über deren maximale Höhe regelmäßig neu entschieden wird. Mitte der 1990er Jahre |81| kamen staatlich garantierte Darlehen (
loans
) hinzu, für die erst nach Abschluss des Studiums Zinsen anfallen.
Ob diese Hilfen angesichts rasant steigender Gebühren und Lebenshaltungskosten ausreichen, um den Hochschulzugang für alle
Schichten offenzuhalten, ist heftig umstritten. 2006/07 beliefen sich die gesamten direkten und indirekten staatlichen Aufwendungen
für die Studienfinanzierung (Stipendien, Steuervergünstigungen, besondere Förderprogramme und die Kosten für zinslose Darlehen)
auf fast 130 Milliarden Dollar (
Chronicle,
2.11.2007). Ungefähr drei Viertel aller Vollzeit-Studenten erhalten irgendeine Form öffentlicher oder institutioneller Beihilfe
zur Finanzierung ihres Studiums. Der Anteil der Geförderten variiert je nach Hochschultyp – an den privaten
non-for-profit-
Hochschulen lag er mit 84,9 Prozent am höchsten, an Community Colleges mit 59,5 Prozent am niedrigsten. 23 Die staatlichen Leistungen haben mit der Kostenexplosion jedoch nicht Schritt gehalten. Mit maximal 4.050 Dollar pro Jahr
decken Pell Grants heute gerade noch 32 Prozent der gesamten durchschnittlichen Studienkosten an einer öffentlichen
4-year institution
ab; zwanzig Jahre früher waren es noch 52 Prozent. Und während Mitte der 1990er Jahre vom Bund verbürgte zinsgünstige Darlehen
noch weit mehr als die Hälfte aller Studiendarlehen ausmachten, fiel ihr Anteil 2006/07 auf unter ein Drittel.
Während des goldenen Zeitalters veränderte sich die Zusammensetzung der Studentenschaft ebenso umfassend wie nachhaltig. Seit
1979 stellen Frauen die Mehrheit unter den amerikanischen Studenten. Der Trend zur Verweiblichung scheint unumkehrbar. Inzwischen
beträgt der Frauenanteil bereits 57,4 Prozent. Jene soziale Gruppe, die von der Öffnung der Hochschulen anfangs am meisten
profitierte – männliche Studenten aus der unteren Mittelschicht –, hat dagegen den Rückwärtsgang eingelegt. Doch nicht nur
höhere Schulabschlüsse und Übergangsquoten von Frauen nähren die weitere Expansion des US-Hochschulwesens. Auch Einwanderer
treibt es in großen Scharen an die Colleges. In ihrem Bildungsstreben stellen die 40 Millionen Asiaten, die seit 1965 eine
neue Heimat in den USA gesucht haben, alles in den Schatten, was man dort von anderen ethnischen Minderheiten bereits kannte.
An vielen Elite-Unis der Westküste und führenden Technischen Hochschulen wie dem MIT stellen sie inzwischen die Mehrheit der
undergraduate
und
graduate students.
Von den über 25-jährigen Asiaten besitzt heute knapp die Hälfte einen Bachelorgrad, mit dem nur 31 Prozent der weißen Bevölkerung
(
caucasians
), 18,4 der
African Americans
und 12,3 Prozent der
hispanics
aufwarten können. |82| Man muss indes kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass allen Hindernissen zum Trotz künftig auch immer mehr Angehörige
der beiden letztgenannten Gruppen an die Hochschule streben werden. Demographische Faktoren werden deren Entwicklung künftig
genauso stark prägen, wie es bereits in den letzten 150 Jahren der Fall war.
Was die Strukturen und Formen der Hochschulausbildung angeht, zeichnet sich inzwischen eine neue, fast paradoxe Kehrtwende
ab. Während des goldenen Zeitalters schien eine Konvergenz von Strukturen und Prozessen angesagt und ein gemeinsamer Nenner
für eine systemische Ordnung in greifbare Nähe zu rücken. In den 1990er Jahren setzte jedoch wieder eine Diversifizierung
und Heterogenisierung der Studentenschaft, Hochschuleinrichtungen und einzelnen Teilmärkte des Hochschulsystems ein, die sich
ständig weiter beschleunigen. In dem Maße, wie die Hochschulausbildung veralltäglicht wurde, Kosten-Nutzen-Kalküle die Oberhand
gewinnen und die Hochschulforschung in den Sog eines »academic capitalism« gerät, pendelt das System offenbar in jenen Aggregatszustand
zurück, in dem es sich vor der
academic revolution
befand: Zersplitterung (Brint 2005).
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Forschung nach 1945 und das Sendungsbewusstein der Elite-Unis
Unser historischer Parforceritt durch die amerikanische Hochschulentwicklung hatte zwei Ziele: Er sollte erstens auf langfristige
Trends und historische Meilensteine aufmerksam machen, die ihr heutiges institutionelles
setting
geprägt haben. Zweitens sollte er unserer Erkundung »typischer« Phänomene eine
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