Traumfabrik Harvard
die Studenten und deren Eltern, also die Kunden der
higher education
typischerweise interessieren, ohne ein »ranking system or a measure of quality« vorzulegen. 31
Dass solche Rangordnungen existieren, gehört indes zum »tacit knowledge« (Michael Polanyi) der meisten Amerikaner. Man weiß
hier einfach, |94| dass es verschiedene Klassen von Colleges und Universitäten gibt, billige und sehr teure Einrichtungen, dass diese leicht
und jene schwer zu erreichen, besser oder schlechter angesehen sind. Mit den elementaren Spielregeln des Hochschulmarktes
sind auch Menschen vertraut, die selber nicht studiert haben oder studieren wollen. »What school is your daughter/son going
to?« Begegnen sich einander bisher unbekannte Amerikaner mittleren Alters zum ersten Mal, und es stellt sich heraus, dass
sie Kinder haben, fällt diese Frage unweigerlich während der ersten 15 Minuten des Gesprächs. Dahinter steckt mehr als die
Suche nach einem gemeinsamen Gesprächsthema – nämlich eine besondere Art von persönlichem Interesse: der Wunsch, den Gesprächspartner
in einer sozialen und kulturellen Taxonomie einzuordnen. Üblicherweise geschieht das, indem man sich nach seiner beruflichen
Tätigkeit erkundigt. Im sozialen Verkehr der amerikanischen Mittelschichten tritt die College-Frage hinzu. Wer sie stellt,
kann die Antwort rasch einordnen – und dann je nachdem gratulieren, die Brauen hochziehen oder beredt schweigen. Familienbande
zu einem College haben hohen Signalcharakter, zeigen an, welcher Liga und sozialen Statusgruppe jemand zuzurechnen ist. Belastbar
sind solche Meinungen nie, als grober Wegweiser durch das Gestrüpp des Alltags jedoch stets hochwillkommen.
Als das goldene Zeitalter der amerikanischen Hochschule vorüber war, Plätze an renommierten Colleges knapper wurden und die
Kosten für eine Hochschulausbildung in die Höhe schossen, wuchs das Verlangen, dieses »tacit knowledge« mit
facts’n figures
abzustützen, die Qualität von Colleges und ihr Preis-Leistungs-Verhältnis empirisch auszuloten. Jetzt schlug die Stunde der
Helferlein, die Studienbewerbern und ihren finanziell gestressten Eltern, Arbeitgebern und überhaupt
toute l’Amérique
einen College-Kompass zu liefern versprachen. In einer Hinsicht zumindest war das außerordentlich erfolgreich: Die jährlich
aktualisierten Rankings und »College Guides«, die Licht ins Hochschuldunkel bringen wollen, verkaufen sich phantastisch. Inzwischen
haben sie das Stadium der
autopoeisis
erreicht und generieren immer neue Ableger und Varianten für einen offenbar unerschöpflichen Ratgeber-Markt. 32 In ihrem Gefolge heizte sich der Wettbewerb unter den Colleges auf teilweise perverse Weise auf; Hochschul-Marketing ist
zu einer einträglichen Beschäftigung geworden, für die findige Hochschulen inzwischen längst teure Weiterbildungsprogramme
im Angebot haben.
|95| Wie im Falle der CC ist es auch hier schwer zu sagen, ob die Rankings und Hochschulführer dabei helfen können, durch die trügerischen
amerikanischen Hochschulgewässer zu navigieren. Anders als in der CC geht es ihnen ja in erster Linie um eine Bewertung einzelner
Hochschulen, am liebsten mit einer einfachen Ordnungzahl am Ende. Aber messen sie wirklich die Qualität einer Institution,
oder bilden sie nicht einfach nur deren Prestige ab? Ist es angesichts der großen Vielfalt von Studienprogrammen und -profilen
angemessen, alle Colleges über denselben Leisten zu schlagen und auf einer Ordinalskala zu verorten? Was wissen wir, wenn
College X auf Platz 85 steht und College Y auf Platz 265? Ist X dreimal besser als Y? Wo die CC überkomplex und schwer zu
handhaben geworden ist, verfallen Rankings ins andere Extrem. Sie wollen Klarheit verkaufen – und bügeln die wunderbare Artenvielfalt
der Colleges und Universitäten platt, weil sie es mit dem Motto »KISS« halten müssen – »Keep it simple and stupid!«
Unsere Suche nach einem Kompass beziehungsweise einer Ordnung für die amerikanischen Hochschulgefilde umfasst fünf Etappen:
Die wichtigsten Befunde der aktuellen CC sind das Thema der ersten, und in der zweiten fragen wir danach, was denn eigentlich
eine Elite-Uni auszeichnet. Anschließend widmen wir uns der Betrachtung ausgewählter Hochschultypen, wie sie entweder nur
in Amerika vorkommen oder die für die Hochschulausbildung in den USA eine besondere Bedeutung besitzen – ein kleiner Flottenkalender
also, mit einem Exkurs
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