Traumfabrik Harvard
– und das Kerngeschäft ihrer privaten »unabhängigen«,
jedoch hoch legitimen Kinder. 540 der insgesamt 765 Einrichtungen dieser Gruppe entsprechen diesem Typ, weitere 152 |99| sind staatlich und 73 privat, aber
for-profit
. Alle zusammen bringen es auf nicht einmal 1,4 Millionen Studenten (7,9 Prozent der Gesamtzahl).
Äußerlich blieben der Zuschnitt und die Nomenklatur dieser Kategorie zwischen 2000 und 2005/06 unverändert. Allerdings gab
es eine folgenschwere Generalüberholung. Die Terminologie »liberal arts« wurde fallengelassen – und damit eine stolze Schiffsklasse
aus dem Register gestrichen, die seit dessen Anfängen 1973 einen festen Platz darin gehabt hatte. Mit dieser Entscheidung
vollzog die Stiftung einerseits die deutliche Gewichtsverlagerung »from the liberal to the practicals arts« (Brint/Riddle
u.a. 2005; Brint 2002) in der amerikanischen Hochschulausbildung nach: 1969/70 wählte zum letzten Mal eine Mehrheit von Bachelor-Absolventen
arts and
sciences
als ihren Schwerpunkt, jene Fächer also, die man gemeinhin als
liberal arts
bezeichnet. Die »Flucht« (Turner/Bowen 1990) der Studenten aus den »academic fields« in »career fields« hat sich inzwischen
zwar wieder etwas verlangsamt (NCES 2005), so dass es diese über einen Anteil von 60 Prozent an den
majors
bis jetzt noch nicht hinaus geschafft haben. Doch der Trend ist irreversibel. Andererseits war in der Vergangenheit immer
wieder kritisiert worden, dass bestenfalls die Hälfte jener Einrichtungen, die in der CC unter »Liberal Arts I« oder »Liberal
Arts II« rubrizierten,
liberal arts Colleges
im engeren Sinne waren. Weil der Zeitgeist in die andere Richtung deutete, hatten sich viele von ihnen längst
professional
oder auch
graduate programs
als ein zweites Standbein zugelegt. In ihren Erläuterungen zur Neuauflage 2005/06 der CC räumte die Stiftung ein, dass die
Begriffe »liberal arts college« und »liberal arts education« nicht unbedingt dasselbe meinen wie ein besonders hoher Anteil
von »majors in the arts and sciences«: »We do not view any particular location on this continuum as the special province of
liberal education. Examples of high-quality liberal education exist across the spectrum.«
Das Terrain unter den 765 kleinen, meist sehr selbstbewussten »Baccalaureate Colleges« steckt sie zwar immer noch nach der
inhaltlichen Akzentuierung von Studienprogrammen ab: Wie viele Studenten entscheiden sich für einen
major
in den
arts and sciences,
wie viele ziehen berufsorientierte Studienrichtungen vor? Was es bedeutet, wenn es eine klare Mehrheit auf der einen oder
anderen Seite gibt, bleibt allerdings interpretationsbedürftig. Noch balancieren sich beide Untergruppen numerisch in etwa
aus, doch bald dürfte sich die Waagschale zugunsten der Institute mit einem Schwerpunkt in »diverse fields« senken. Wird die
Flottille kleiner Colleges, die wie ein Relikt aus früheren Zeiten ins 21. Jahrhundert hinüber gesegelt ist, |100| durch die Karriere der »career fields« um ihren speziellen Flair gebracht und ihrer Nische verlustig gehen? Diese Frage rührt
an einen empfindlichen Nerv der amerikanischen Hochschulentwicklung, nämlich die Statusdifferenz zwischen staatlichen und
privaten Hochschulen, dem Elitesegment und dem der öffentlichen Großkonfektionäre. Werden die Unterschiede, tatsächliche wie
»gefühlte«, tendenziell eher kleiner oder im Gegenteil sogar größer?
Der Ausgang dieses Kampfes wird auch davon abhängen, ob es die selbständigen
liberal arts Colleges
schaffen können, sich als Premium-Anbieter zu behaupten. Zwar taucht dieser Gattungsname in der CC nicht länger explizit auf,
aber man darf davon ausgehen, dass sie im Verband der 247 privaten
not-for-profit
»Baccalaureate Colleges – Arts & Sciences« die stärkste Truppe stellen. Wie tief wir hier in das kulturelle Hinterland der
Hochschulbildung in Amerika eintauchen, zeigt eine simple Vergleichszahl: Nur ganze 38 staatliche Colleges pflegen ein ähnliches
Profil. Beweist das, dass die
liberal arts
zu einem Anachronismus geworden sind? Oder zeugt es stattdessen von der Chuzpe einer Elite, die sich im Hochschulwesen der
USA ihr eigenes Plätzchen sichern konnte?
Die CC, zeigt sich hier, bietet tatsächlich mehr als nur eine banale Seekarte der schwer ergründbaren amerikanischen Hochschulgewässer.
Wer auf der Suche nach der Blaupause oder dem Betriebsgeheimnis von US-Hochschulen nach ihr
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