Traumfabrik Harvard
Hochschulen,
dass Studienanfänger mindestens eine Veranstaltung in englischer Literatur besuchen müssen, um ihre schriftliche und mündliche
Ausdrucksfähigkeit zu schulen und zu verbessern. Sprache und Literatur gelten längst nicht mehr als totes Bildungsgut, das
man je nach individueller Spezialisierung oder Geschmack studieren oder einfach zur Seite legen kann. Fast alle Colleges haben
»writing requirements« in ihren Curricula verankert, die den Studenten den sprachlich vermittelten Zugang zur Welt erleichtern
und ihnen notwendige Werkzeuge für den kommunikativen Austausch geben sollen. Darüber hinaus zeichnet sich ein Trend zur Wiederentdeckung
und stärkeren Würdigung der
liberal arts
ab, also eines breiten Kanons geistes-, sozial- und naturwissenschaftlicher Fächer. Empirische Studien darüber, welche Ziele
Dozenten in der
undergraduate education
für wichtig befinden, dokumentieren die steigende Wertschätzung einer »broad liberal arts education« zwischen 1975 und 1997.
Wenn sie 90,9 Prozent der Befragten 1997 für wichtig oder sehr wichtig hielten, waren das mehr als im Falle der »career preparation«
mit einer Zustimmungsrate von 88,1 Prozent oder der Vermittlung speziellen Fachwissens mit 80,6 Prozent (Schuster/Finkelstein
2006: 131f.).
Besonders interessant ist, dass sich der Zuspruch quer über das ganze Feld von Einrichtungen erstreckt. Selbst die Community
Colleges scheinen ihre Liebe zu den
liberal arts
zu entdecken. Ohne ein Quantum allgemeinbildender Kurse, mal zur freien Wahl gestellt, mal in ein festes Paket geschnürt,
kommt kein College über die Runden. Private »Good Buy Institutions«, die ihre deutlich höheren Preise erst einmal auf dem
Markt unterbringen und dafür ihren Mehrwert gegenüber billigeren öffentlichen Mitbewerbern demonstrieren müssen, greifen besonders
gern auf herkömmliche |144| Qualifikationsziele und ein Kerncurriculum für die
undergraduate education
zurück.
Welch merkwürdige Passung dabei herauskommen kann, illustriert das willkürlich herausgegriffene Beispiel der University of
New Haven (UNH). Gegründet in den 1920er Jahren als College für »business and engineering«, verlieh diese Einrichtung 1958
erstmals den Bachelorgrad. Seit 1970 führt sie den Namen Universität. In ihren 90
undergraduate programs,
darunter so nette wie »Fire Science«, »Sports Management« und »Criminal Justice (Law Enforcement)«, sind gut 2.500 Studenten
eingeschrieben. Die Studiengebühren betrugen 2007/08 26.186 Dollar; für
room and board
kamen 10.658 hinzu. Trotz ihres eindeutigen Schwerpunkts in der
career education
müssen alle Studenten der UNH ein »Core Curriculum« in den
liberal arts
absolvieren, das vom »College for Arts and Sciences« der Hochschule bestritten wird. Auf dessen Homepage findet man vollmundige
Versprechungen: »The mission of the College of Arts and Sciences is to educate leaders who solve tomorrow’s problems. We are
committed to educate leaders who understand (through knowledge), solve (through critical thinking), communicate (orally and
in writing), and execute (through experiential education). […] Through the Liberal Arts, students gain multiple skills, open
minds, and personal growth – all essential for the global marketplace. The College offers students essential foundations in
science, the arts, psychology, government and international relations, mathematics, literature and writing, history, ethics,
and more.« 61 Ob die Hochschule selber daran glaubt oder nicht, kann dahingestellt bleiben: Offenbar verspricht sie sich etwas von diesen
Ankündigungen, und die Studenten kaufen es ihr ab.
Das Beispiel mag statistisch nicht repräsentativ sein, demonstriert aber zweierlei: Wie tief die Semantik der
undergraduate education
und die Magie der
liberal arts
in alle Schichten des amerikanischen Hochschulwesens eingesickert ist – und wie schwer es fallen dürfte, Analoges dazu an
einer deutschen Fachhochschule zu finden, dem Hochschultyp, dem die University of New Haven am ehesten entspricht. Das Bildungsprogramm
des
American
college
ist in der Tat »exceptional«: Was es seinen Studenten bieten und mitgeben soll, ist die Fähigkeit, über den Tellerrand eigener
Interessen hinaus zu schauen, sich unter hohem zeitlichen Druck neue Wissensgebiete zu erschließen, Fakten zu recherchieren,
klar zu argumentieren und Ansichten abzuwägen – kurzum Kenntnisse und Arbeitstechniken,
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