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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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Wissenschaft, wie sie die Humboldt’sche Universität sein wollte oder vielleicht auch war. Aber es bietet
     ein wissenschaftliches Studium und ist weder eine höhere Berufsschule noch eine Fortsetzung der Sekundarschule mit anderen
     Mitteln. Für die meisten Hochschulen – Elite-Unis allen voran – ist es ein Raum, in dem die Studenten jene »intellectual,
     moral, civic and creative capacities« schulen und entwickeln sollen, die sie für ihren Platz in einer offenen Gesellschaft
     brauchen. Sein Curriculum, zu dem die Fächer nur Bausteine liefern, ist so etwas wie die Visitenkarte einer Hochschule – und
     zugleich ein Politikum, in dem sich unterschiedliche Erwartungen an
higher education
wie in einem Brennglas bündeln. Verantwortet, abgestimmt und organisiert wird es vom College, hier verstanden als eine Querstruktur
     innerhalb der Universität mit eigenen Statuten und administrativem Personal. 58 Neben der freien Entscheidung über die Aufnahme von Studienbewerbern ist die über ihr Studienprogramm der zweite Kernbereich
     der Hochschulautonomie
Made in the U.S.

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Mission und Programm
    Alle Amerikaner, die nach der Highschool nicht sofort berufstätig werden, besuchen ein College. Was damit gemeint ist, versteht
     sich heute weniger denn je von selbst. Zwischen verschiedenen Arten von Colleges wird nicht begrifflich unterschieden. Wegen
     der zunehmenden Differenzierung und Segmentierung der institutionellen Landschaft kann »College« daher ganz verschiedene Dinge
     bedeuten. Dasselbe gilt für den Bachelorabschluss. Noch im goldenen Zeitalter der amerikanischen Hochschulbildung gab es dafür
     eine Art Richtschnur, der man überall folgte. Inzwischen ist sein Profil zwar nicht restlos verwässert, aber doch stark erodiert.
     Trotz der um sich greifenden »community collegization« (Steven Brint) und trotz der steilen Karriere des »vocationalism« gibt
     es immer noch einen Fonds von Orientierungen und Erwartungen an
higher education
, mit denen sich jedes |139|
undergraduate college
auf seine eigene Weise auseinandersetzen muss. Dazu gehört einerseits der Vorbehalt gegenüber einer frühen fachlichen Spezialisierung
     und einer starken beruflichen Orientierung von Studienprogrammen und andererseits die Überzeugung, dass das College auch eine
     erzieherische Verantwortung für seine Studenten habe, die in der Studiengestaltung zum Tragen kommen müsse.
    Seit den ersten Colonial Colleges verstand man die Aufgabe von
higher
education
in Amerika niemals bloß als Vermittlung von Expertenwissen. Colleges sollten nicht in erster Linie Funktionskader ausbilden
     wie die deutschen oder französischen Universitäten, sondern immer auch (oder vielleicht sogar vor allem) die Charakterbildung
     der ihnen anvertrauten (lange nur männlichen) Studenten unterstützen (Ben-David 1977) und dem Gemeinwesen zu einer »educated
     citizenry« verhelfen. Mehr als alles andere ist das der Grund dafür, warum die Ausbildung von
undergraduates
generalistisch zu sein hatte – sie sollten »capacities for participation in the societal community with competence and intelligence«
     (Parsons/Platt 1973: 165) erwerben, breite Kompetenzen also, wie sie Bürger brauchten, die ein begründetes Urteil über Gott
     und die Welt abgeben, in öffentlichen Angelegenheiten vernünftig mitreden und ihren »civic responsibilities« nachkommen wollten. 59 Was sie an Kenntnissen benötigten, um einen bestimmten Beruf auszuüben, mussten sie woanders lernen – in
professional
schools
oder im richtigen Leben. Liest man aktuelle Aufgabenbeschreibungen und Curricula für das
undergraduate college
, hat man den Eindruck, die Zeit sei stehengeblieben. Die massive Expansion und der fundamentale Gestaltwandel der Hochschulausbildung
     haben dieser honorigen Denkschule nämlich kaum etwas anhaben können. Seit dem späten 19. Jahrhundert liefert ein pragmatischer
     Idealismus mit hoher politisch-moralischer Aufladung die konzeptionelle Grundierung für die Hochschulbildung in Amerika (Grubb/Lazerson
     2005), und wie in Stein gemeißelt erscheinen auch deren wesentliche Strukturmerkmale. Das ist ebenso irritierend wie faszinierend.
    Obwohl
advanced degrees
immer beliebter und für Forschungsuniversitäten unverzichtbar geworden sind, bleibt die
undergraduate education
das Herzstück der
American higher education
. In unzähligen Denkschriften und Stellungnahmen, Reden, Artikeln und Büchern berufener Experten oder

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