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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Schreiterer
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selbsternannter Verfechter
     dieses ungewöhnlichen Modells wurde es wieder und wieder von allen Seiten beleuchtet, gewogen, befragt – nur um im Ergebnis
     stets neu bekräftigt zu werden. So wie niemand an der Expansion |140| der Hochschulbildung rütteln darf, weil sie inzwischen zu einer Signatur für soziale Teilhabe in einer demokratisch verfassten
     Gesellschaft geworden ist, scheint es tabu, die klassische Rollenbeschreibung für das College als anachronistisch und seine
     Prinzipien als obsolet zu bezeichnen. Droht die
undergraduate education
an den großen Elite-Unis vom Rummel um die Forschung oder von einer Fülle schicker anderer Studienprogramme an die Seite gedrängt
     zu werden, rufen sofort viele besorgte Stimmen dazu auf, ihr doch gefälligst die gebührende Beachtung zu schenken: »Teaching
     undergraduates«, befand Harold D. Shapiro, der frühere Präsident der Princeton University 1997, »remains the single most important
     responsibility of the nations’ colleges and universities« (Shapiro 1997: 59). 60
    Das College als sozialer Erfahrungsraum, das College als Schule der Demokratie, das College als Laboratorium für
leadership
, das College als Kompetenzmaschine und als Startrampe für ein gutes Leben – all das und noch viel mehr munitioniert die Imagination
     dieser amerikanischen Institution. Während »Going to College« für Angehörige unterer sozialer Schichten und ethnischer Minoritäten
     das Versprechen auf eine bessere Zukunft bedeutet, heißt es für die oberen Mittelschichten »Getting into the right College«
     – und beides bereitet immer mehr Stress und Frust. Keine Debatte und keine neue Nachricht über das College – und davon gibt
     es unendlich viele – kann diesem hoch kontaminierten politischen Erwartungshorizont entgehen, ganz egal, ob es um die steigenden
     Kosten für ein Studium oder um fragwürdige Zulassungspraktiken, um sozial ungleich verteilte Zugangschancen, um Abbrecherquoten
     oder neue Curricula und Lehrformen geht. Zum hartnäckigsten Advokaten einer hochwertigen
undergraduate-
Erfahrung in bester amerikanischer Ausprägung hat sich die vom Stahlbaron Andrew Carnegie 1905 gegründete »Carnegie Foundation
     for the Advancement of Teaching« entwickelt. Durch ihre 1906 vom amerikanischen Kongress gebilligte »Charter« dazu angehalten,
     die Sache der
higher education
zu befördern, hat sie in viel beachteten Studien immer wieder konzeptionelle und organisatorische Probleme der Collegeausbildung
     aufgegriffen und kritisch durchleuchtet.
    Als sich in den 1980er Jahren die Klagen darüber mehrten, dass sich die fest bestallten Professoren an den berühmten Forschungsuniversitäten
     mehr und mehr vor der Lehre im College drückten und sie lieber Doktoranden oder Lehrbeauftragten antrügen, legte die Stiftung
     ein großes Projekt auf, um die aktuelle Lage der
undergraduate experience
zu erkunden und zu bewerten. Sie vergab das Projekt aber nicht nach außen, wie es sonst |141| üblich ist, sondern bearbeitete es im eigenen Haus unter Leitung ihres Präsidenten Ernest Boyer. Als dieser 1987 seinen Bericht
     veröffentlichte, erregte das erhebliches Aufsehen. Der
Boyer-Report
zeichnete nämlich ein äußerst ambivalentes Bild vom Zustand des
American college
und hielt dessen Erneuerung oder Wiederbelebung für dringend geboten. Gute Leistungen attestierte er ihm in der Vermittlung
     von Wissen und nützlichen Fertigkeiten. Die numerische Expansion und größere Diversität der Studentenschaft wurden ausdrücklich
     begrüßt, und Boyer konnte auch dem Umstand etwas abgewinnen, dass die Curricula offener geworden waren und mehr Raum für individuelle
     Neigungen und Bedürfnisse der Studenten boten. Andererseits sparte sein Bericht nicht mit scharfer Kritik an fachwissenschaftlichen
     Egoismen und falschen Prioritäten, die zu einer Flucht der Professoren in die Forschung geführt hätten und die Collegeausbildung
     nebensächlich zu machen drohten. Die wichtigste Botschaft des Berichts war nicht etwa die Forderung nach mehr Geld fürs College,
     sondern eine harsche Kritik, dass angesichts der Individualisierung von Studienprogrammen und der Betonung von »skills-training«
     das eigentliche Zentrum der »baccalaureate experience« aus dem Blick geraten sei. »Throughout our study we were impressed
     that what today’s college is teaching most successfully is competence – […] in gathering information, in responding well on
     tests, in mastering the

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