Traumfabrik Harvard
details of a special field.« Aber all dies lasse die wichtigsten Fragen unbeantwortet: »Education
for what purpose? Competence to what end?« (Boyer 1987: 283) Seine eigene Antwort darauf hatte Boyer bereits am Anfang gegeben
– und damit gleichzeitig auch die Messlatte für seinen Lagebericht hoch aufgelegt: »Above all, we need educated men and women
who not only pursue their own personal interest but are also prepared to fulfill their social and civic obligations. And it
is during the undergraduate experience […] that these essential qualities of mind and character are refined.« (Ebd.: 7)
Da ist es wieder, das merkwürdige Leitmotiv von Charakterbildung und
citizenship
als wertvollste und vordringliche Aufgabe des
American college
. Kompetenzvermittlung und Sachkenntnis dürften kein Selbstzweck sein, sondern ein notwendiger Sockel für die Entwicklung
von Urteilsfähigkeit und eines »sense of civic and social responsibility« (Colby u.a. 2003: 53). Der Boyer-Report von 1987
schloss – wie könnte es in Amerika anders sein – mit einer positiven Bilanz der Stärken und Potenziale des
undergraduate
college.
Aber der letzte Satz war ein leidenschaftlicher Appell, sich auf dessen wichtigste Aufgabe zu besinnen und Studenten dabei
zu helfen, »to |142| move from competence to commitment and be of service to their neighborhoods, the nation, and the world« (Boyer 1987: 297).
Sicherlich muss man solche Ortsbestimmungen nicht zum Nennwert nehmen. Doch sie spiegeln die Erwartungen, an denen sich jedes
College messen lassen muss. Ohne sie wäre das
American college
eine ganz normale Hochschule, wie es sie in vielen anderen Ländern gibt. Doch durch die tief in der amerikanischen Geschichte
und Kultur verwurzelten Betonung bürgerschaftlicher Aufgaben wird es zu einer ganz besonderen Einrichtung.
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Das real existierende American College
Soweit zur Programmatik und ihrer reichen rhetorischen Ausschmückung. Aber wie sieht es mit der täglichen Arbeit des
American college
aus? Drückt sich der hehre Anspruch auch in der Studiengestaltung und anderen Merkmalen aus? Ja, durchaus – allerdings kommt
es auf die einzelne Einrichtung an, wie stark und in welcher Form. Wenn es oft heißt, das Bildungsprogramm des College sei
durch und durch verschult, standardisiert und anspruchslos, dann ist das schlicht ein Zerrbild. Ganz im Gegenteil soll es
möglichst offen sein und neben Pflichtbereichen so viele freie Wahlbereiche umfassen, dass sich beide in etwa die Waage halten.
Sein Ziel ist es, die Studenten mit den Denkweisen und Ergebnissen einer wissenschaftlichen Weltsicht vertraut zu machen.
Dafür reicht es nicht, ihnen abgestandene Schmalkost vorzusetzen. Das Niveau der Veranstaltungen reicht von fade bis hoch
anspruchsvoll, nicht anders als an den meisten deutschen Universitäten, die stolz Humboldt’sche Ideale vor sich hertragen.
Unterschiedliche Typen von Colleges legen indes auf unterschiedliche Dinge Wert: Reputationsorientierte Einrichtungen neigen
dazu, die Vermittlung konkreter Kenntnisse und Kompetenzen zu betonen, während Elite-Unis lieber »thinking abilities« und
die »discipline of mind« fördern wollen.
Je renommierter eine Hochschule ist oder sein möchte, desto wahrscheinlicher wird ein
undergraduate
Studium die folgenden Eigenschaften aufweisen: Erstens obligatorische Anteile von
liberal arts
oder einer
general
education
im Curriculum, zweitens die Wahl eines
majors
erst am Ende des zweiten Studienjahres, drittens die Unterbringung aller Studenten oder wenigstens derer aus dem ersten und
zweiten Studienjahr in einem Wohnheim |143| (»hall of residence«) oder besser noch in einem
residential college
, und viertens ein reichhaltiges Angebot an Sportmöglichkeiten und
community
services
.
1985 stellte die Carnegie Foundation in einer Erhebung fest, dass 95 Prozent aller
4-year colleges
irgendeine Form von
general education
anboten (Boyer 1987: 87). Für sich genommen besagt das freilich noch nicht viel. So illustrieren Befragungen von Studenten,
dass sich diese darunter häufig etwas anderes vorstellen als die Gralshüter der
liberal education
in den Stiftungen oder die
Deans of College
an den Elite-Hochschulen: Für sie rangieren Computerkurse weit oben auf der Liste wünschenswerter allgemeiner Unterrichtsfächer,
Literatur oder Geschichte dagegen weit unten. Andererseits gibt es eine auffallende, breite Tendenz an fast allen
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